„Belehrendes ist langweilig“

■ Die Bremer Filmemacherin Dagmar Gellert erhält heute den Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon. Die taz sprach mit ihr

In den Filmen von Dagmar Gellert nimmt niemand ein Blatt vor den Mund. Ihr großes Talent liegt darin, Jugendliche vor der Kamera zum Reden zu bringen. Seien es pubertierende Rechtsradikale aus Findorff in ihrem Film „Torfsturm“ oder eine mehrheitlich türkische Clique aus Lüssum in „Ehrensache“. Was da gesagt wird, ist nicht bequem, und so fordern die Filme von Dagmar Gellert auch zum Widerspruch heraus.

taz: Wie kommt es dazu, dass sie mit ihren Filmen Sozialtherapie mit anderen Mitteln machen?

Dagmar Gellert: Als kleines Mädchen aus dem Alten Land mußte ich immer, wenn Filme über das Landleben gedreht wurden, in meiner Tracht vor der Kamera von links nach rechts und wieder zurück laufen. Damals habe ich gemerkt, dass mich alles hinter der Kamera mehr interessierte als davorzustehen. Als ich mit diesem Berufswunsch zu meinen Eltern kam, brach für die eine Welt zusammen, und so wurde ich brav Lehrerin. Aber sobald ich meine pädagogische Trickkiste einigermassen gefüllt hatte, machte ich mit meinen Schülern Filme, wobei ich davon zuerst genausowenig Ahnung hatte wie die. Nach einem später mit einem Schülerfilmpreis ausgezeichneten Film, in dem die Schüler Skinheads interviewten, merkte ich dann, dass es mir nicht reichte, die Schüler anzuleiten. Ich wollte da selber miteingreifen, und so ist es mir dann gelungen, im Auftrag des Senatoren für Bildung und Jugend Filme zu produzieren, die ich aber selber finanzieren muß.

Dann hat sich ja Ihr Stil von den Anfängen an kaum geändert?

Es hat mich von vorn herein gereizt, fremde Menschen und Lebensszenen so zu filmen, dass die Leute, die in diesen Welten leben, sich selbst darstellen. Belehrende, schön ausgewogene Kommentare in Filmen finde ich sterbenslangweilig. Es ist viel irritierender, emotionaler und letztlich auch erkenntnisreicher, wenn man den Menschen nur zuhört.

Warum suchen sie sich für ihre Filme immer die unbequemen Krisenfronten aus?

Soll ich Filme über reiche Mädchen und ihre Pferde oder über elegante Schlittschuhläuferinnen machen? Sowas finde ich völlig unerheblich, und mich interessieren statt dessen die Ecken, wo die Widersprüche offenliegen. Andererseits bin ich auch nicht gerade ausgesprochen harmoniesüchtig, und ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es sein kann, seinen eigenen Weg zu finden und zu gehen.

Ihr letzter Film „Ehrensache“ wird jetzt fast täglich im Kino 46 für Schulklassen gezeigt, und jedesmal sind sie selber mit dabei und diskutieren hinterher mit den Jugendlichen. Machen Sie da nicht im Grunde nach dem Film das Gleiche wie mit dem Film?

Ich habe das jetzt seit vier Monaten in etwa 70 Vorführungen mit durchschnittlich 100 Besuchern gemacht, da diskutieren mit den Jugendlichen, und dabei kommen immer noch neue Details heraus. Oft gibt es dabei Streitgespräche unter den Jugendlichen, und die Lehrer bekommen hochrote Köpfe, weil ich auch politisch extrem unkorrekte Dinge sagen lasse, ohne gleich moralisierend einzuschreiten. In jeder Vorstellung erzählen die Jugendlichen so den Film weiter.

Fragen: Wilfried Hippen

Öffentliche Preisverleihung heute um 11 Uhr in der Villa Ichon