piwik no script img

Eine Demonstration für alle

Eltern und Schüler wollten sie, die Gewerkschaften erst recht und sogar der Schulsenator: Es wurde die größte Demo zur Bildungspolitik in Berlin. Fragte sich nur: Wer spannte wen vor den Karren?

von JULIA NAUMANN

Es war die größte Demonstration für eine bessere Bildungspolitik in Berlin seit der Wende: Am Samstag protestierten etwa 40.000 Menschen gegen die hauptstädtische Schulpolitik. In einem Sternmarsch, der von der „Aktion Bildung“ organisiert war, zogen Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen zum Neptunbrunnen am Alexanderplatz. Elternvertreter Rolf Hänisch forderte neue Lehrkräfte, kleinere Klassen, den Erhalt von Schulstationen und modernere Unterrichtsformen. „Kinder wollen lernen“, sagte er unter tosendem Applaus. Dazu müssten die Schulen besser ausgestattet werden.

Auffallend viele Kinder und Jugendliche waren zur Demo gekommen, für viele war es ihre erste. Auf selbst gemaltenTransparenten und Schildern standen Parolen wie „Für bessere Schulbücher und Computer“ und „Wir wollen keinen Unterrichtsausfall“.

Der Besuch der Demonstration war in einigen Schulen von den LehrerInnen im Unterricht vorbereitet worden. „Wir haben in einer Stunde mit der Lehrerin nur darüber geredet“, sagte die 12-jährige Felicia von der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule. Felicia stört vor allem, dass der Unterricht so häufig ausfällt. „Jetzt ist das ja noch ganz nett“, sagte die Siebtklässlerin. „Doch für die SchülerInnen in den höhren Klassen ist das gar nicht mehr lustig.“ Felicia stört außerdem, dass die LehrerInnen „sehr alt“ und Turnhalle und Toiletten „total eklig“ seien.

Aus Kreuzberg und Neukölln kamen viele türkische Eltern zum Alexanderplatz. „Bei uns haben 80 Prozent der Kinder nach der 6. Klasse eine Hauptschulempfehlung. Das ist eine Katastrophe“, sagt Attila Tazegul. Es sei ein „deutsches Vorurteil“, dass türkische Eltern sich nicht für Bildungspolitik interessierten. Seine drei Kinder gehen auf die Jens-Nydahl-Grundschule in der Nähe Kottbusser Tor. 70 Prozent der SchülerInnen dort sind nichtdeutscher Herkunft. Die Hälfte der Eltern der Jens-Nydahl-Grundschule seien zum Sternmarsch gegangen.

Viele LehrerInnen äußerten ihren Unmut darüber, dass der Schulsenator die Demonstration zu seinen Zwecken nutzen wolle. Böger hatte in einer Pressekonferenz erklärt, dass er die Demonstration unterstütze, wenn die TeilnehmerInnen nur gegen Unterrichtsausfall protestierten. Verständnis für den Protest gegen die geplante Stunde Mehrarbeit habe er jedoch nicht. Er wolle alles dafür tun, den Misstand des Unterrichtsausfalls zu beheben.

„Das ist eine Unverschämtheit!“, empörte sich eine Lehrerin aus Pankow. „Er spannt sich vor unseren Karren und tut so, als ob es seine Demo sei.“ Nur die FDP und die Bündnisgrünen schickten eine Grußbotschaft an die DemonstrantInnen. Von der SPD kam nichts. Vielleicht auch, weil die GEW den Sternmarsch in den vergangenen Tagen massiv unterstützt hatte, um auf die geplante Arbeitszeiterhöhung aufmerksam zu machen. SPD-Landeschef Peter Strieder hatte die GEW in einem Interview beschuldigt, den Protest der Eltern für ihre Zwecke zu missbrauchen. Für Demo-Organisator Wolfgang Schlaak sind diese Vorwürfe eine „Unverschämtheit“. Die Demo sei von „ganz normalen“ Eltern organisiert worden. Die Initiative lasse sich von niemandem missbrauchen.

Für die „Aktion Bildung“ hört der Protest indes nicht auf. Die 25 Eltern, die den Sternmarsch vier Monate lang vorbereitet haben, wollen weitermachen. Sie haben bereits 15.000 Unterschriften für eine bessere Bildungspolitik gesammelt, die sie in den nächsten Wochen dem Senat übergeben wollen. „Wir werden nicht lockerlassen“, kündigte Schlaak an. „Wir werden weitermachen, bis sich etwas ändert.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen