: Lachen, weil kein Arzt kommt
Die Krankenkasse AOK betreibt in ihrer Durchhalte-Zeitschrift „Bleib gesund!“ Humorforschung und fördert beim Leser die Freude auf eine wohltuende Depression
Es war einmal, da war die AOK eine Krankenkasse. Als aber festgestellt wurde, dass man viel mehr Geld verdienen kann, wenn die Kranken nicht mehr krank sind, trotzdem aber schön ihre Beiträge zahlen müssen, wurde aus der Krankenkasse ihr Gegenteil: „AOK – die Gesundheitskasse“. So nennt sie sich, weil sie den Leuten das Kranksein am liebsten verbieten möchte. Weil das von der Materie her aber nicht geht – der Körper ist nun mal ein sterblicher Gammel –, muss man es ihnen gründlich mies machen. Dazu taugen, wie auch in anderen Kriegen, moralische Mittelchen: Krank sein ist asozial und fies, heißt es, und Kranke belasten die Gemeinschaft, die so schön ist und so rundgesund. Gern genommen wird auch das esoterisch-autoritäre Getröte der Sorte Karma – Krankheit – selber schuld. Am Ende bleibt der Titel der AOK-Zeitung übrig: Bleib gesund! Das klingt nicht nur wie ein Durchhaltebefehl aus dem Führerbunker, das ist auch einer. Und der Subtitel, „LIFE – Das Magazin für das aktive Leben“, hat ebenfalls, um im Anglizismus zu bleiben, einen touch of Lebensborn.
Die Titelgeschichte der aktuellen Bleib gesund! heißt: „Humor heilt – warum Lachen die beste Medizin ist.“ Diese Weisheit hatte schon Noah gebraucht gekauft, aber, wie unsere Blattmacher so sagen: Kann man immer mal wieder machen. Wirklich erstaunlich an der Sache ist allein die Chuzpe, mit der Leute auf Humor und Humorverstand machen, deren Horizont fest eingerahmt ist von den Dienstvorschriften: „Spaß muss sein!“ und „Hier hört der Spaß auf!“
Weil Journalismus die Fähigkeit ist, die immer gleichen Phrasen immer wieder aufzutischen, ist die Rede vom „Clown, Sinnbild für Heiterkeit“. Wo es um Humorlosigkeit geht, darf der Clown nicht fehlen. Wer einmal wirklich Kind war, weiß, wofür der Clown tatsächlich Sinnbild ist: Für die fieseste Sorte Langeweile, bei der man sich nicht einmal langweilen darf, weil es ja heißt, Kinder liebten Clowns, und wehe nicht. Dabei hassen Kinder Clowns – jedenfalls, wenn sie nicht völlig zu kleinen Erwachsenen degeneriert worden sind. Clowns sind so faszinierend wie eine vollgesenfte Windel. Was das ist, wissen Kinder.
Vom feuilletonistischen Gezirp wechselt Bleib gesund! ins physikalische. „Beim Lachen passiert einiges im Körper. Das fängt mit den eigenartigsten Lauten an. Dann: Der Körper zuckt, das Zwerchfell hüpft, das Herz schlägt schneller. Große Pupillen und feuchte Fingerkuppen gehören ebenso zur Heiterkeit. Daneben erschlafft die Beinmuskulatur und manches Mal auch die Blase“, droht der Text – und droht noch weiter: „Doch Lachen kann viel mehr bewirken.“ Noch mehr als erschlaffte Blasen? Bitte nicht.
„Aber nicht nur Krankheiten sollen durch Lachen gelindert werden, sondern auch Schmerzen“, verspricht das Zentralorgan der AOK. Doch was ist mit den Schmerzen, die durch grauenhafte Humorbemühungen erst erzeugt wurden? Durch etwa Ingo Appelts erfolgreiche Versuche, ein gleich ihm humor- und trostfernes Publikum mit dem offenkundigen Notschrei „Ficken!“ zum Wiehern – und damit womöglich zum Entleeren diverser körpereigener Behältnisse – zu animieren? Weil sich die Krankheit gern für ihre Heilung ausgibt, reklamierte Unterhosen-Appelt im Januar in einem Spiegel-Interview, er sei quasi ein deutscher Therapeut. So gesehen war Goebbels Krankenpfleger.
Zum Beweis von Kenntnis und Kompetenz zitiert Bleib gesund! eine Fachkraft. „Komik ohne Intelligenz ist unmöglich“, sagt Jürgen von der Lippe. Das ist wahr. Warum aber hält sich der schlüpfrige Haiwaiihemdler dann für komisch?
Lachen auf Krankenschein hat etwas Deprimierendes, tief Verzweifeltes: „Immer mehr Menschen sind von der wohltuenden Wirkung des Lachens überzeugt. Sie schließen sich zu Lachclubs zusammen, kichern, prusten, wiehern, gackern gemeinsam und klopfen sich in fröhlicher Runde auf die Schenkel.“ Wenn man das liest, fängt man an, sich auf kommende Depressionen zu freuen. „5 Tipps zum Lachen, zusammengestellt von Prof. Willibald Ruch“ gibt es auch noch gratis. „So heben Sie Ihre Stimmung: – Erinnern Sie sich an heitere Erlebnisse, vergegenwärtigen Sie sich nochmals die Details. – Suchen Sie gezielt lustige Veranstaltungen, Filme auf, klicken Sie witzige Internet-Seiten an. – Führen Sie ein Humor-Tagebuch und blättern Sie öfter darin. – Stellen Sie sich lustige Dinge vor; z.B. vereinen Sie Dinge und Leute, die nicht zusammenpassen, in Ihrer Vorstellung. – Begeben Sie sich in Gesellschaft heiterer Leute; Lachen ist ansteckend!“
Wer danach noch einen Rest braucht, kriegt ihn in einem Interview mit „Dr. Michael Titze, Psychotherapeut: ? Sollte man bewusst lachen? Unbedingt! Wir sollten bewusst nach komischen Auslösern suchen und uns um lautes, intensives Gelächter bemühen. Kann man Lachen üben? Ja. Man kann zum Beispiel Tonbänder abhören, auf denen das vielstimmige Gelächter von Menschen ist – und mitlachen.“
Wo sich Stumpfmaten um Gelächter laut und intensiv bemühn, bleibt nur noch eines übrig: fliehn! WIGLAF DROSTE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen