: Goldrausch in der Bankfiliale
Selten war eine Aktie so begehrt, weil so begrenzt, wie die der Siemens-Tochter Infineon. Dabei ist man auf die vielen Kleinanleger gar nicht so scharf
von HANNES KOCH
Gestern Morgen bei der Deutschen Bank 24, Berlin, Friedrichstraße: „Eine Sekunde, gute Frau, nur eine Sekunde.“ Ein älterer Unsympathling drängelt sich vor den anderen Wartenden an den Schalter: „Habe ich Infineon-Aktien bekommen?“, fragt er die Angestellte. Wütende Zurufe von hinten: „Das wollen wir auch wissen!“
Kurz nachdem die Filiale gestern um zehn Uhr geöffnet hat, herrscht Hochbetrieb im Schalterraum. Minuten zuvor wurden die Aktien des Siemens-Ablegers Infineon erstmals an den Börsen gehandelt – was schon in den vergangenen Wochen eine Art Goldrausch ausgelöst hatte.
Rund 170 Millionen Aktien brachte Siemens auf den Markt. Doch 5,7 Milliarden Anteilscheine hätte der Konzern an die begeisterten AnlegerInnen verkaufen können. Die Aktie wurde 33fach überzeichnet – das heißt, auf eine Aktie kamen 33 Interessenten. Das ist ein neuer Rekord. Nur jeder sechste Interessent, der Aktien bestellt hatte, bekam also nach offiziellen Angaben auch welche.
Der Vordrängler gehört zu den Auserwählten. 40 Infineon-Aktien liegen in seinem Depot. Aber nicht mehr lange, noch am Schalter will er sie sofort wieder verkaufen.
„Möchten Sie ein Limit angeben, 80 Euro vielleicht?“, fragt die Bank-Angestellte. Der Neu-Aktionär ist fachlich überfordert. Er kennt nur Tempolimit. Aber mit der Festlegung des Verkaufspreises, die ihn davor schützt, seine Aktien zu billig loszuschlagen, kann er nichts anfangen. Er willigt trotzdem ein. So bringt ihm die Infineon-Lotterie einen Gewinn von 3.200 Mark. Mehr als seine Rente für diesen Monat.
Deutschlandweit hatten sich die Kredit-Institute gestern auf den Ansturm vorbereitet: Sonderschichten, Überstunden. Bei der Berliner Sparkasse waren die Telefone schon vor acht Uhr morgens besetzt. Bei der Berliner Volksbank kamen die Angestellten wegen der ständigen Anrufe während des Vormittags zu keiner normalen Arbeit.
So erfolgreich der Börsengang von Infineon verlief – so viel Kritik provozierte er. Als die Deutsche Telekom 1996 ihre Aktien verkaufte, bekamen alle InteressentInnen zumindest ein paar Papiere. Anders bei der Siemens-Tochter, die nach der Telekom den bisher zweitgrößten Börsengang hinlegte: Sehr viele der KleinanlegerInnen gingen leer aus. Das Unternehmen hatte sich zusammen mit den Banken entschieden, nur 40 Prozent der Anteile direkt an Privatleute zu verteilen.
„Dem haftet der Geruch der Mauschelei an“, beschwerte sich Ulrich Hocker von der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz. Denn den größten Teil der Aktien erhielten Geldinstitute, Fonds und andere Großinvestoren. Die Breite der Streuung verhält sich damit umgekehrt proportional zum gigantischen Interesse der Bevölkerung, die mit der distanzierten Beobachtung des Börsengeschehens zur Zeit der Telekom-Emission nicht mehr zu vergleichen ist.
Die Beschränkung des Aktienverkaufs an KleinaktionärInnen hat etwas damit zu tun, dass den Konsortial-Banken, die den Börsengang von Infineon organisierten, mittlerweile nicht mehr so ganz wohl ist angesichts des Booms.
Einerseits begrenzen sie die Zuteilung an Privatleute natürlich, um selbst vom steigenden Wert der Aktien zu profitieren und entsprechende Provisionen für ihre Fonds zu kassieren – andererseits aber beobachten die Banken die Spekulation der Börsen-Laien mit ziemlichem Misstrauen.
Die Banken haben wenig Interesse daran, dass hundertausende Ahnungslose panisch Aktien kaufen und verkaufen, um schnellen Gewinn zu kassieren.
Wegen der großen Nachfrage schnellte der Infineon-Kurs gestern von 35 bis nahe 85 Euro in die Höhe. Danach sackte er durch die erste Verkaufswelle am frühen Nachmittag wieder auf 75 Euro ab. Große Schwankungen am Aktienmarkt beinhalten aber immer die Gefahr eines Crashs – und bedrohen damit auch den Wert der Aktienpakete, die die Banken selbst halten. Die Geldinstitute entwickeln deshalb gerade die Tendenz, die Euphorie der KleinanlegerInnen zu bremsen, indem sie ihnen weniger Anteile zubilligen.
So hat die Commerzbank unlängst festgelegt, den Anteil der Laien-SpekulantInnen bei bei Neu-Emissionen von Aktien nicht mehr über den schon erreichten Anteil hinaus zu erhöhen. „Die schnelle Zockerei bringt eine unheimliche Hektik in den Markt“, meinte dazu eine Sprecherin der Commerzbank.
Das Vorgehen der Großbank ist zwiespältig: Einerseits trägt es dazu bei, die ahnungslose Spekulation in Grenzen zu halten. Andererseits führt die Begrenzung dazu, dass wie immer die Banken, Investment-Gesellschaften und ihre reichen KundInnen profitieren, die überproportional mit Aktien bedient werden.
An der vermögenden Klientel freilich haben die Finanzkonzerne ein stärkeres Interesse: Mit diesen Schichten lässt sich nicht nur mehr Geld verdienen, sondern sie verfallen auch nicht so leicht in einen hektischen Kauf- und Verkaufsrausch. Auf den Infineon-Gewinn von 3.000 oder 5.000 Mark können sie auch getrost verzichten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen