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Machtlos an der Macht

Obwohl die Grünen den Einstieg in den Atomausstieg längst erstritten haben, wirken sie wie Verlierer. Selbst als Regierungspartei haben sie nicht gelernt, symbolische Politik zu machen

von ULRIKE HERRMANN

Ein kleiner Quiz fürs Kneipengespräch: Wie viele Atomanlagen wurden in der Ära Kohl stillgelegt? Auf die Wahrheit kommt erfahrungsgemäß niemand. Es waren 26.

Wie vernichtend wird dagegen die rot-grüne Bilanz ausfallen. Egal, wie die Atomkonsensgespräche enden: In dieser Legislatur geht maximal ein Atomkraftwerk vom Netz. Aber an diesem einen AKW verläuft nun ausgerechnet die Prestige-Grenze der Grünen. Kein abgeschaltetes AKW bedeutet Niederlage. Zwei stillgelegte AKWs gelten als Sieg. Ein AKW: ein blaues Auge im grünen Ü. Es ist tragisch und lächerlich zugleich, wenn man dies mit der Ära Kohl vergleicht. Trotzdem gilt als ausgemacht, dass an dem einen abgeschalteten AKW die Glaubwürdigkeit und Zukunft der Grünen hängt. Der Parteitag am nächsten Wochenende wird entsprechend wogen. Wie kann das alles sein?

Die Grünen ignorieren die Gesetze der Macht. Unbeirrbar organisieren sie ihre eigenen Niederlagen

Eine These: In der Atompolitik geht es nicht nur um „die Sache“, sondern auch um Symbole. Und diesen symbolischen Kampf haben die Grünen noch nie gewonnen, obwohl sie den Einstieg in den Ausstieg längst erstritten haben. In der Ära Kohl. Denn natürlich wollte er die 26 Atomanlagen nicht abbauen. Es war ein Sieg der Opposition. Trotzdem hat die CDU ihre atomaren Niederlagen bisher erfolgreich überspielt – und wird auch in den Atomkonsensgesprächen die symbolische Trophäe davontragen. Denn beharrlich ignorieren die Grünen die Gesetze der Macht. Unbeirrbar organisieren sie ihre eigenen Niederlagen, wofür auch der nächste Parteitag ein allzu typisches Beispiel ist.

Aber mal langsam und von vorn: Dass die Atomkonsensgespräche symbolisch zu verstehen sind, mag vielleicht nicht sofort einleuchten. Doch noch unwahrscheinlicher ist das Gegenteil, dass es um Sachpolitik gehen könnte. Von außen jedenfalls ist nicht zu erkennen, dass es für das große Ziel des Atomausstiegs einen großen Unterschied macht, ob die 19 deutschen Restmeiler 30, 33 oder 35 Jahre am Netz sind, ob nach Betriebsjahren oder Volllastjahren kalkuliert wird und wie das Abschalten einzelner AKWs verrechnet werden darf – ob nach Laufzeiten oder Gesamtstrommenge.

Wie niedrig der sachliche Sinn der verbissenen Debatte anzusetzen ist, zeigt sich auch am heimtückischen Vorschlag einiger Atomkraftgegner, die die Gegenstrategie empfehlen: man solle die Atomindustrie doch verpflichten, ihre Anlagen mindestens 40 Jahre zu betreiben. Das würde sie ruinieren, denn die Nachrüstungskosten wären astronomisch. Die natürliche Lebensdauer eines AKWs gleicht der eines Nashorns: Sie beträgt durchschnittlich 30 bis 35 Jahre. Genau um diese ökonomisch vorgeprägte Laufzeit wird jetzt politisch gestritten. Was so abstrus ist, dass es einen tiefen symbolischen Sinn haben muss.

Wenn die Atompolitik ganz wesentlich der Kampf um Symbole ist, dann haben die Grünen ihn schon längst verloren. Denn bis heute ist in der breiten Öffentlichkeit kaum angekommen, dass der Einstieg in den Ausstieg längst vollzogen ist. Die christdemokratische Raffinesse: Die 26 stillgelegten oder verhinderten Atomanlagen sind in der Summe nie aufgefallen – obwohl jedes Einzelereignis bekannt war und manches jahrelang umkämpft. Beim Stichwort Wackersdorf etwa erinnert man sich an die meterhohen Maschendrahtzäune, die drohend von einer drohenden Atomdiktatur kündeten, und weiß, dass es die Initiativen und Bauern in der Oberpfalz waren, die dies verhindert haben.

So wenig wie die Summe der 26 werden die strukturellen Veränderungen wahrgenommen: Seit 1982 wurde in Deutschland kein einziges AKW neu geplant und keines exportiert (was sich demnächst ja ändern soll), die atomare Forschung ist weitgehend eingestellt. Noch unter Kohl wurde das Energiewirtschaftsgesetz von 1935 reformiert; die Verbraucher können sich jetzt für atomfreien Strom entscheiden.

Die CDU hat stets ihr Bestes gegeben, um diesen Sieg der Opposition zu kaschieren. Die offizielle Version lautete immer: Die Atomkraft ist eine wertvolle Hochtechnologie mit größten Exportchancen und wird von der Regierung besonders gefördert. Diese Diskrepanz zwischen Realität und symbolischer Rhetorik spiegelt sich jetzt genau umgekehrt bei Rot-Grün wider. Während Kohl den Ausstieg als Einstieg in die Nuklearwirtschaft verkaufte, steigt Rot-Grün momentan nirgendwo ein und deutet das als Ausstieg.

Es ist typisch, dass Rot-Grün nicht den Atomkonsens durchsetzt, sondern eine Unternehmenssteuerreform

Sind die Grünen also gescheitert? Basis und Wähler neigen zu diesem Glauben; machtgeil hätten die Funktionäre jede Überzeugung verkauft. Schon traditionsgemäß werden Parteiaustritte angekündigt. Trotzdem: Die Grünen haben nicht versagt – sie wurden nur Regierung. Und bedrohen damit niemanden mehr. Von der SPD sind sie abhängig, für die Christdemokraten ist der Machtverlust erst mal eingetreten; keine der Konkurrenzparteien hat noch etwas zu befürchten. Und gleich lebt es sich als Atomindustrie viel besser – wozu noch Zugeständnisse? Gelassen wartet man das natürliche Ende der letzten Meiler ab. Rot-Grün erlebt, was die Regierung Kohl umgekehrt in der Atompolitik ebenfalls durchmachen musste: das Zugeständnis an den Gegner. Anders als die CDU können die Grünen das aber nicht akzeptieren – und daher auch nicht symbolisch verbrämen.

Die Fundis haben es ja immer geahnt: Opposition müsste man sein; nur dann lässt sich was für seine Herzensthemen erreichen. Damit haben sie oft Recht. Falsch ist jedoch die gängige Konsequenz: Es wäre Quatsch, die Koalition zu verlassen. Denn wer prinzipiell aufs Regieren verzichtet, bedroht die Regenten niemals wieder und ist für die Wähler uninteressant. Eine reine Oppositionspartei anzukreuzen ist so effektiv, wie sich gleich bei den Nichtwählern einzureihen. Eine solche Fundi-Partei wäre kein Machtfaktor und würde genau deshalb nicht überleben.

Die Grünen und ihre Wähler müssen sich mit dem Paradox des Regierens arrangieren. Nicht die eigene Parteimeinung lässt sich dort exekutieren, sondern nur der breite Mehrheits- und Minimalkonsens der Gesellschaft. Für diese Dialektik des Regierens ist es typisch, dass Rot-Grün nicht den Atomkonsens durchsetzt, sondern ausgerechnet eine Unernehmenssteuerreform. Scheinbar verkehrte Welt: Die CDU hätte diese Steuergeschenke nur zu gern in ihrer Regierungszeit initiiert – stattdessen musste sie trauernd zusehen, wie die „Hochtechnologie“ Atomkraft vom Netz geht. Aber anders als die Grünen weiß die CDU um das Paradox der Macht. Nie wäre diese geübte Regierungspartei darauf verfallen, ihre Niederlagen in der Steuerpolitik oder in der Atompolitik zum ausgedehnten Thema eines Parteitages zu machen. Die Grünen hingegen organisieren die eigene symbolische Entmachtung herbei: Selbst wenn die Delegierten am Wochenende grummelnd auf 30 Ausstiegsjahre einschwenken – die Verhandlungsmacht der Partei ist geschwächt. Schon jetzt weiß jeder, dass die Parteispitze vor der eigenen Basis zittert. Wie soll man dann noch Atommanager beeindrucken und zu Zugeständnissen bewegen? Der symbolische Sieg ist den Gegnern sicher.

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