Blut und Ehre für ein China

Premier Zhu Rongji schießt in Richtung Taiwan – bisher nur verbal. Der Führung in Peking bereiten die Wahlen auf der abtrünnigen Insel am Samstag Sorgen

PEKING taz ■ Bislang galt Zhu Rongji als der Mann, als der er sich gestern darstellte: „Meine einzige Hoffnung ist, dass die Chinesen mich als einen sauberen und ehrlichen Premierminister in Erinnerung behalten, und nicht als einen korrupten“, sagte der chinesische Regierungschef auf der Pressekonferenz zum Abschluss des Nationalen Volkskongresses in Peking.

Doch nach dem, was Zhu sonst noch zu sagen hatte, könnte der Premier auch als nationalistischer Kriegstreiber in Erinnerung bleiben. Wie kaum ein anderer seines Ranges malte Zhu gestern einen von Nationalgefühl und Blut getränkten Konflikt mit Taiwan an die Wand, wo am Samstag ein neuer Präsident gewählt wird. „Hitler hätte seine Herrschaft bereits auf die ganze Welt ausgedehnt, wenn man so kalkuliert wie diejenigen, die nur Raketen zählen“, sagte Zhu in Anspielung auf westliche Experten, denen zu Folge China nicht über ausreichende Mittel verfügt, um Taiwan militärisch zu besiegen. „Unser Volk wird zu jeder Zeit sein Blut für die Verteidigung der Würde der chinesischen Nation opfern.“

Zhus Bekenntnis zur Gewalt bezieht sich auf drei Friedensbedingungen, die China im Februar aufstellte: Taiwan dürfe erstens nicht seine Unabhängigkeit erklären, zweitens dürften ausländische Kräfte dort nicht intervenieren und drittens dürften Gespräche über die Wiedervereinigung der Insel mit China nicht mehr auf unbestimmte Zeit herausgeschoben werden. Zhu beteuerte gestern, dass alle drei Bedingungen nichts Neues enthielten, musste jedoch indirekt zugestehen, dass sich der innerchinesische Konflikt durch die Demokratisierung Taiwans dramatisch zugespitzt hat. Im Grunde ließen sich seine starken Worte nur als Einmischung in den taiwanesischen Wahlkampf verstehen.

„Die Taiwanesen stehen vor einer kritischen Weggabelung“, sagte Zhu und wandte sich direkt an die WählerInnen: „Folgt nicht euren Impulsen. Sonst werdet ihr keine Gelegenheit mehr haben, eure Entscheidung zu bedauern.“ So unmissverständlich hat zuvor wohl selten ein Kommunist seine Vorliebe für den alten, in Taiwan regierenden Erzfeind ausgesprochen. Denn Zhu rief damit die Taiwanesen zur Wahl der seit fünfzig Jahren auf Taiwan regierenden Kuomintang-Nationalisten auf, die einst den Bürgerkrieg gegen die Kommunisten gefochten hatten, doch ihnen heute näher stehen als die für die Unabhängigkeit Taiwans eintretende oppositionelle Fortschrittspartei (DPP).

Tatsächlich aber sind die Chancen für einen Wahlsieg des DPP-Kandidaten Chen Shui-bian besser denn je. Auch Zhu räumte das ein: „Die Dinge sind unvorhersehbar.“ Dabei ließ der Premier für den Dialog mit Chen zumindest eine Hintertür offen: „Wir reden mit allen, die für ein einziges China eintreten.“

Zhus dramatischer Wahlaufruf für die Kuomintang verrät, dass viele Kommunisten in Peking substanzielle Wiedervereinigungsverhandlungen mit Chen bis heute für unmöglich halten. In diesem Fall aber bekäme Pekings dritte Friedensbedingung eine möglicherweise unkalkulierbare Bedeutung. Zumal Zhus Stimmungsmache auch etwas mit seiner Regierungsbilanz zu tun hat: Von dem hoch gelobten Wirtschaftsreformer wurden vor allem ökonomische Erfolge erwartet. Doch die kann Zhu nur insofern aufweisen, als dass er Wirtschaft und Staat in China entflechtet. Langfristig ist diese Politik vielversprechend, doch kurzfristig bedingt sie riskante Ablenkungsmanöver.