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Verhandelt wird der Holocaust

Gerichtlich wehrt sich David Irving dagegen, ein „gefährlicher Holocaust-Verleugner“ genannt zu werden. Längst ist er dabei selbst Beklagter

aus LondonRALF SOTSCHECK

„Es sind heute viele fremde Gesichter hier“, wundert sich ein Stammgast im Londoner High Court. Vor dem Saal 73 stehen um neun Uhr morgens fünfzig Menschen an, obwohl der Prozess erst anderthalb Stunden später beginnt. Und was für ein Prozess! Die Jerusalem Post kündigte ihn als „meistbeachteten Holocaust-Prozess seit Adolf Eichmann“ an, gestern wurden die Plädoyers gehalten. Die israelische Regierung hat Eichmanns fast 40 Jahre unter Verschluss gehaltenen Tagebücher freigegeben, um zu beweisen, dass der Holocaust stattgefunden hat. Muss man diese Tatsache beweisen?

Man muss es wohl, nachdem der High Court die Verleumdungsklage des englischen Publizisten David Irving gegen die US-amerikanische Historikerin Deborah Lipstadt und den Penguin-Verlag zugelassen hat. Die Autorin hatte ihn 1993 in einem Buch als „gefährlichen Holocaust-Leugner“ bezeichnet. Irving sieht Lipstadt als Teil einer „gegen mich gerichteten Hetzkampagne“, die darauf abziele, seine Karriere zu zerstören. „Merkwürdig“, sagt ein jüdischer Prozessbeobachter, ein Auschwitz-Überlebender, der seit Prozessbeginn keinen Tag versäumt hat. „38 Jahre nachdem Eichmann den Holocaust als das schlimmste Verbrechen der Geschichte bezeichnet hat, bestreitet ein britischer Historiker die Gültigkeit von Eichmanns Geständnis.“

Aufgrund der überwältigenden Menge an Beweismaterial, das meiste davon in Deutsch, sind beide Seiten übereingekommen, auf Geschworene zu verzichten. Richter Charles Gray, mit roter Schärpe und grauer Amtsperücke, ist während der Verhandlung wortkarg, er lässt beide Seiten aufeinander losgehen und unterbricht nur selten. Richard Rampton, Lipstadts Verteidiger, sagt: „Herr Irving bezeichnet sich selbst als Historiker. In Wahrheit ist er kein Historiker, sondern ein Geschichtsfälscher. Oder, um es unverblümt auszudrücken, ein Lügner.“ Und Rampton fährt Zeugen auf: Professor Hajo Funke von der Freien Universität Berlin, der über Irvings Kontakte zur Neonaziszene aussagt; den Historiker Christopher Browning, der über die „Endlösung“ referiert, Professor Robert van Pelt, Experte für Gaskammern; Richard Evans, der englische Holocaust-Forscher. Es ist längst nicht mehr Deborah Lipstadt, die angeklagt ist, sondern David Irving und sein Geschichtsrevisionismus. Irving, der ohne Rechtsbeistand angetreten ist, reagiert defensiv. Wenn er mit einer früheren Aussage konfrontiert wird, die selbst er nicht mehr aufrechterhalten kann, schiebt er das auf seinen damaligen Informationsstand.

Und dann sagt er: „Ich muss Sie daran erinnern, dass eins der Grundprinzipien des englischen Rechts lautet: Ein Mann ist unschuldig, bis ihm das Gegenteil bewiesen ist. Habe ich Recht?“ Im Gerichtssaal herrscht einen Augenblick lang Stille. Der Mann, von dem Irving spricht, ist Adolf Hitler. Irving bestreitet nicht, dass die Nazis Juden umgebracht haben, aber er bestreitet die Zahl und die Methoden. Es sei kein systematischer Völkermord gewesen, sondern man habe die Juden, ausgerüstet mit genügend Reiseproviant, in Arbeitslager gen Osten geschickt. Dort brach „das System zusammen, und die Mörder kamen zum Zuge“. Hitler habe davon nichts gewusst. Bis heute liege kein einziger schriftlicher Mordbefehl Hitlers vor.

Irving war nicht immer so. Früher hat er die Judenvergasungen nicht abgestritten, seine Bücher wie „Hitlers Krieg“ wurden auch von Penguin verlegt. Irving verdiente damals 100.000 Pfund im Jahr. Dann, bei einem Prozess in Kanada, bei dem er als Zeuge auftrat, hörte er von einem Gutachten, in dem behauptet wurde, dass die gemessene Zyklon-B-Konzentration in den Überresten der Auschwitz-Gaskammern weitaus niedriger sei als in den Entlausungskammern. Zwar stand in dem Gutachten auch, dass für die Vergasung von Läusen eine siebenmal höhere Dosis als für Menschen erforderlich sei, doch Irving schenkte diesem Teil keine Beachtung mehr.

Rampton hält ihm eine Aussage von 1991 bei einem Vortrag in Kanada vor: „Ich behaupte, dass auf dem Rücksitz von Edward Kennedys Auto in Chappaquiddick mehr Frauen umgekommen sind als in den Gaskammern von Auschwitz.“ Irving sagt, er füge stets den Satz hinzu: „Die Gaskammern, die den Touristen gezeigt werden.“ In Kanada tat er das nicht, wie Rampton anhand einer Videoaufnahme von damals beweisen kann, und nicht zum ersten Mal während des Prozesses ringt Irving für einen Moment um seine Fassung.

Der Verleumdungsprozess ist Irvings letzter Versuch, sich noch einmal ins Gespräch zu bringen. Verliert er, ist er bankrott. Der schweigsame Richter Gray muss nun sein Urteil fällen. Das wird sechs bis acht Wochen dauern.

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