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Gemein: Erst schließen, dann prüfen

■ Trotz Protesten beschloss die Deputation: Schule Lothringer Straße schließt im Sommer 2001 / Danach soll die Behörde prüfen, ob genug Haupt- und Realschulplätze in Schwachhausen bleiben

Rund 400 Jugendliche haben gestern mittag vor der Bildungsbehörde für den Erhalt der Schule Lothringer Schule demonstriert. Aber während noch Bob Marleys „get up, stand up for your rights“ über die Straße dröhnte, glaubten die meisten der jugendlichen DemonstrantInnen schon nicht mehr daran, überhaupt politisches Gehör zu finden. Das „SOS – save our schools“-Transparant war schon eingeholt, als kurz darauf die Bildungsdeputierten das von der Polizei gut bewachte Haus des Bildungssenators am Rembertiring betraten. Von dort kam nach wenigen Stunden die Meldung: „Die Schule Lothringer Straße wird zum Schuljahresende, im Sommer 2001, geschlossen.“ Neue Siebtklässler sollen bereits ab Sommer in die Schule Brokstraße kommen; eine Orientierungsstufe hatte die Haupt- und Realschule Lothringerstraße nie.

Für diese Entscheidung haben gestern die Deputierten der großen Koalition geschlossen die Finger gehoben. Zugleich allerdings auch für einen Vorbehalt, der nicht sofort einleuchtet. Nach dem Deputationsbeschluss, der als Tischvorlage kurzfristig eingebracht wurde, soll die Behörde jetzt auch prüfen, ob für Schwachhauser SchülerInnen nicht doch eine Schule mit Haupt- und Realschulabschluss eingerichtet werden soll. Hintergrund sind Entscheidungen, wonach sich der Stadtteil Schwachhausen zum Experimentierfeld für ehrgeizige Schulversuche entwickelt.

Nachdem das Hermann-Böse-Gymnasium beispielsweise vor Jahren einen bilingualen Zweig bekam, soll ab dem Sommer auch im Kippenberg-Gymnasium ein erster Jahrgang zum Abitur in zwölf Jahren antreten. Dass Kinder beim derart komprimierten Bildungsmarathon – nicht nur in der sogenannten Orientierungsstufe – auf der Strecke bleiben werden, ist eingeplant. Nur – früher kamen manche gescheiterte Kippenberger bei der nahe gelegenen Schule Lothringer Straße unter. Sie bot einen überschaubaren Rahmen. „Jeder kennt jeden“, bestätigten gestern die Demonstranten und berichten offen, dass sie in anderen Schulen die ungeliebten Letzten wären.

Der Grüne Bildungspolitiker Helmut Zachau kommentierte die Entscheidung der Deputationsmehrheit entsprechend: „Dies zeigt, dass Schulen zunehmend unter dem Gesichtspunkt der Spitze geplant werden.“ Normale und schwache Schüler würden abgeschoben. „Entweder du bist gut genug für die Elite, oder du musst den Stadtteil verlassen.“

Unklar ist derzeit noch, an welchem Standort die derzeit rund 170 SchülerInnen aus der Lothringer Straße endgültig unterkommen sollen. Auch das soll die Behörde prüfen – wobei sich die SPD-Fraktion für einen Umzug in die frei werdende Thomas-Mann-Straße aussprach. Gegen die Schule Brokstraße gibt es Proteste. Die Räume, die zur Schule Hamburger Straße gehören, reichten nicht aus. Die Lage am Sielwall sei nicht ideal.

Die Elternvertreterin der Schule Lothringer Straße, Inge Goldmann, zeigte sich über die Entscheidung für eine Schulschließung gestern enttäuscht. Die Schule habe Erfolge aufzuweisen. Dort seien langsamere oder betreungsbedürftige SchülerInnen zurecht gekommen, die an anderen Schulen gescheitert waren. Außerdem sei die Schule Lothringer Straße zugleich eng verflochten mit anderen Schulen – wie der Schule Leher Feld oder Fritz Gansberg-Straße. „Wir haben leistungsfähigere Schüler aus den Sonderschulen gefördert und aufgebaut“, bestätigt auch die stellvertretende Schulleiterin.

Uneinigkeit herrscht zwischen den KoalitionspolitikerInnen unterdessen noch über die Verwendung der Verkaufserlöse. Während die CDU darauf besteht, dass Erlöse in die Kasse des Finanzsenators fließen, will die SPD sie im Bildungsressort belassen. ede

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