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Raus aus dem toten Winkel

Das Theater zum Westlichen Stadthirschen hat genug von Kreuzberg und zieht in die Invalidenstraße. Einmal spielt man allerdings noch in der alten Fabriketage: Jean-Luc Lagarce’ „Liebesgeschichte“

Von REGINE BRUCKMANN

„Das Geheimnis des Namens werden wir auch der taz nicht verraten“, sagt Dominik Bender: „Manche sagen, wir sind das Theater mit dem schönsten oder mit dem längsten Namen, dann heißt es, der Name ist zu kompliziert oder zu altmodisch oder ostfeindich. Aber wir haben fast 50 Produktionen als Theater zum Westlichen Stadthirschen gemacht. Da muss man durch, und dann bleibt man dabei.“ Bender legt ein flaches ovales Messingfeuerzeug auf den Tisch, dasselbe hat schon vor 15 Jahren auf dem Küchentisch einer Kreuzberger WG gelegen. Die Herkunft aus der Off-Szene des untergegangenen West-Berlins ist unverkennbar.

Dominik Bender und Johannes Herrschmann: Die beiden sind noch übrig aus der Gruppe von sechs Schauspielern und HDK-Absolventen, die 1982 das freie Theater zum Westlichen Stadthirschen gründete. Sie sind älter geworden und mager geblieben, nur die Haare tragen sie heute viel kürzer.

Die Spielstätte der Stadthirschen ist seit 18 Jahren eine Fabriketage, Hinterhof, dritter Stock, am toten Ende der Kreuzbergstraße, nahe der S-Bahn. Auf dem Dach stehen ein paar Gartenstühle, von hier aus gibt es immer noch die weite Sicht über die Dächer von Kreuzberg: „Der Bezirk war natürlich lange spannend, jeder fand hierher, aber heute ...“ Bender zuckt mit den Achseln: „Zehn Jahre nach der Wende ist das hier Niemandsland.“ Theater aus dem toten Winkel.

Also ab in den Osten: Die nächste Premiere, „Die Riesen vom Berge“ von Luigi Pirandello, wird in der Invalidenstraße stattfinden, in einem denkmalgeschützen Saal eines ehemaligen evangelischen Gemeindehauses. „Die Kirche sucht natürlich Leute mit Geld, die das Haus auch sanieren können“, erzählt Bender, „der Saal ist ganz gut in Schuss, nur die Heizung funktioniert nicht. Das kann nicht die Welt kosten, aber das Geld haben wir trotzdem nicht.“ Ob sie den neuen Raum in Mitte unter diesen Bedingungen langfristig bespielen können, ist ungewiss.

Die letzte Premiere gab es jetzt noch in der Kreuzberger Fabriketage. „Liebesgeschichte“ heißt das Stück des 1995 an Aids gestorbenen französischen Autors Jean-Luc Lagarce, und es passt mit seiner suchenden Sprache, mit seinem vorsichtigen Kreisen um das Spannungsverhältnis zwischen Text und Realität gut zu den Stadthirschen, die in den vergangenen Jahren ein schauspielerisch sehr präzises, von Sprache ausgehendes Theater entwickelt haben. Oft sind sie bei der Stoffsuche auch bei Romanen und Prosatexten gelandet sind. „Wenn man Sprechtheater macht, sollte man dieses Ausdrucksmittel schon ernst nehmen“, sagt Johannes Herrschmann: „Was soll ich mit einem Theaterstück, wenn ich seine Sprache nicht in den Mund nehmen mag.“ „Liebesgeschichte“, meint Herrschmann, sei ein theoretischer Exkurs, aber trotzdem wohltuend verspielt, und dann so wunderbar selbstironisch: „Ich find’s zunehmend schwieriger, mich auf der Bühne als Figur todernst zu nehmen. Ich meine, egal was du machst, es gibt immer eine Pointe, und wenn du die nicht findest, dann Gnade dir Gott.“

Dominik Bender und Johannes Herrschmann machen das Theater, das zu ihnen passt: ein leises, nachdenkliches und kluges Theater, ein Theater, das versucht, sich selbst transparent zu machen, ein Theater gegen den lauten Trend. Und mit einem merkwürdigen Namen. Sie haben schon mal überlegt, „Theater zum Westlichen“ einfach tzw abzukürzen. Aber dann würden die Journalisten wieder fragen, was das heißt, und man könnte nur sagen: Das sind doch diese beiden, Herrschmann und Bender.

Heute 20 Uhr, Theater zum Westlichen Stadthirschen, Kreuzbergstraße 37. Weitere Aufführungen jeweils freitags bis sonntags, noch bis zum 9. April

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