Die Berliner Fischgräte schwimmt allein

Nach Debis und dem Sony-Center reift nun das dritte Großprojekt am Potsdamer Platz heran: die Park Kolonnaden. Gestern war Richtfest. Aber das monotone Ensemble für spätere Büronutzer grenzt sich zum Platz mehr ab, als dass es dazu gehört. Nur der „Fischkopf“ erinnert an das „Haus Vaterland“

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

In westdeutschen Reisebüros liegen Prospekte aus, die Berlin-Touristen zum Shopping an den „neuen Potsdamer Platz“ einladen. Die dazugehörigen Bilder konstituieren eine Gegenwart aus glitzernden Einkaufspassagen, den Hochhäusern von Debis/DaimlerChrysler, dem Sony-Center, den neuen Hotels und Multiplex-Kinos. Jeder in Berlin weiß aber, dass das „neue Stadtquartier“ erst zur Hälfte fertig gestellt ist. Jenseits der bebauten Tortenstücke von Debis und Sony tun sich nach wie vor Brachen und Baugruben auf. Der „Hertie-Komplex“ im Norden des Platzes ist bis auf ein Gebäude noch Ödnis. Und im vierten Quartier, dem fischgrätenartigen Bürokomplex „Park Kolonnaden“ von A + T wurde erst gestern Richtfest gefeiert. Die endgültige Fertigstellung des Ensembles ist für Ende 2001 geplant.

Trotzdem steckt in den euphemistischen Reiseprospekten ein Stück Wahrheit. Der Potsdamer Platz wird, entgegen den Ankündigungen der Investoren, kein „dicht bebautes, geschlossenes Viertel“, wie Bausenator Peter Strieder (SPD) gestern meinte. Das Zentrum des Stadtquartiers, gewissermaßen sein Schwerpunkt, bilden die Gebäude von Debis und Sony. Die beiden anderen Tortenstücke werden höchstens Satelliten einer sowieso nicht kompakten Planung des Potsdamer Platzes.

Beim Richtfest für die „Fischgräte“ ist das erneut deutlich geworden. Während vor dem 12-geschossigen halbrunden Kopfbau, dem sechs achtstöckige Quergebäude (die so genannten Gräten) samt Schwanzblock folgen, der Richtkranz in den Himmel über Berlin gezogen wurde, blieb der Blick an der großen Bautafel hängen. Darauf prangt das 500 Millionen Mark teure, 16.000 Quadratmeter große A + T-Projekt als isolierte Gebäudeinsel, die zudem durch einem Grünstreifen von Debis getrennt ist. Den Potsdamer Platz sucht man vergebens.

Die „Fischgräte“ mit ihren eintönigen Fassaden könnte ebenso gut im Ostberliner Plattenbaubezirk Marzahn stehen. Dass Gisbert Dreyer, Geschäftsführer der zuständigen Projektentwicklungsgesellschaft, die Park Kolonnaden als „Ort der Ruhe im Abstand zu der quirligen City von Debis“ bezeichnete, meint in Grunde dasselbe, was Kritiker schon seit langem befürchten: Der Potsdamer Platz ist ein autistisches Gebilde im Berliner Stadtgrundriss, seine Teile verhalten sich zueinander ebenso.

Es hätte für die Park Kolonnaden auch anders kommen können. Im Unterschied zu dem heutigen Rohbau sollte nach dem ursprünglichen Masterplan der Architekten Hilmer und Sattler (München) der Potsdamer Platz als kleinteiliges, dichtes Stadtviertel entstehen. Vorbild für den Entwurf waren die einstige Bebauung des Potsdamer Platzes bis 1945 sowie der Leitgedanke der „kritischen Rekonstruktion“ – die moderne Weiterentwicklung der früheren Architektursprache. Anknüpfungspunkt war das zerstörte „Haus Vaterland“, jenes „größte Café-Haus der Welt“, das zum Potsdamer Platz ragte. Anknüpfungspunkt war auch eine differenzierte urbane Architektur aus Wohnungen, Büros und Gastronomien, die den Mythos vom südlichen Potsdamer Platz mit seinen Restaurants, Geschäften und dem Personenbahnhof widerspiegeln sollte.

Bis auf den Kopfbau – als Zitat des Hauses Vaterland – ist daraus nichts geworden. Ein Großteil Mitschuld daran tragen die Veränderungen des Masterplans, die auf dem Gelände des Personenbahnhofs einen Grünstreifen entstehen lassen. Weit schwerer aber wiegt, dass die Pläne der Investoren sich dem Gedanken vom „durchmischten Stadtquartier am Potsdamer Platz“ widersetzten. Stattdessen zieht in die Park Kolonnaden die Monotonie ein. Hauptnutzer des Quartiers sind Büromieter, gefolgt von Wohnungen und ein paar Gastronomien. Wer einkaufen will, muss hinüber zu Debis, dasselbe gilt für das Amüsement oder den Kinobesuch.

Hinzu kommt, dass die Entwürfe für den Kopfbau sowie die Fischgräten-Gebäude aus einer Hand stammen. Giorgio Grassi, Mailänder Architekt, lässt an der Realisierung des Ensembles zwar drei Teams aus Berlin und Basel partizipieren. Gleichwohl entstehen daraus keine unterschiedlichen Häuser, sondern eine eindimensionale Architektur.

A + T, Terrano und ABB, die Investoren der Park Kolonnaden, feierten gestern auch nicht mit Blick auf den Potsdamer Platz, als hätten sie sich davon längst verabschiedet. Man prostete sich mit Bier und Sekt auf der gegenüberliegenden Seite der Fischgräte zu. Dort, an der Köthener Straße, docken die Gebäude an das bestehende Kreuzberger Viertel an. Möglicherweise gelingt hier die Anknüpfung an die Altbauten des Quartiers, die Wohnbauten der IBA, an ein paar Kneipen und Geschäfte, aber auch an das Museum im Martin-Gropius-Bau und das Berliner Abgeordnetenhaus. Es ist keine städtebauliche Wahlverwandtschaft und auch keine soziale: Zu Baubeginn protestierten die Anwohner heftig gegen die A + T-Gebäude. Vielleicht ergibt sich gerade darum eine Verbindung.