stimme der kritik: Betr.: Die Krise der Jeans
DIE NEUE MITTE UND HIP-HOP SIND SCHULD
Neulich auf MTV: Clips von Smashing Pumpkins, Ayman, Blink 182 und Puff Daddy. Weder die Musiker noch die sonstigen Darsteller tragen Jeans. Dass es Jeans überhaupt noch gibt, davon zeugen im anschließenden Werbeblock die vielen Spots von Replay, Diesel, Denim und Levi’s.
Die Jeans steckt in der Krise. Bei einer Firma wie Levi’s sank letztes Jahr der Umsatz weltweit um 14 Prozent. Coole Kids kaufen und tragen keine mehr, die älteren tun das nur noch, weil sie es gewöhnt sind. Und in der Jeans ein Symbol für Protest und Widerstand zu sehen, ist schon ein ganz alter Hut. Wer aber ist schuld? Erst einmal natürlich der gute, alte, tote Kurt Cobain. Als Nirvana und Grunge regierten, trug man zwar liebend gern Jeans, doch wie Cobain schnitten sich viele gern auch ein paar Löcher vorne ans Knie, an den Oberschenkel und auch hinten ans Gesäß. Rockmusik stand hoch im Kurs, die Jeans aber sollte schon damals entweder kaputt oder nur zweite Wahl sein. (Da konnte Countrysänger Garth Brooks noch so viele saubere und neue Levi’s tragen).
In Europa und ganz besonders in Deutschland ist es seit kurzem die neue Mitte, die ihr Scherflein zum Niedergang der Jeans beigesteuert hat. Die neue Mitte hat es gern gediegen und trägt bekanntlich lieber Grau als Blau. Das muss dann nicht immer gleich feinster Stoff sein, da reicht auch schon eine schwarze Carharrt-Plastikhose mit Bügelfalte, um Einlass auch in den schicksten Club zu bekommen. Jeansträger bleiben draußen. Die Hauptschuldigen aber sind Hip-Hopper wie Marley Marl, Run DMC oder Puff Daddy: Die transportieren mit ihrer Musik Kleidercodes, in denen für Jeans höchstens Platz in der Elefantenform ist – kein Thema für Levi’s natürlich. Wenn Levi’s jetzt aber angreift mit der neuen „Engineered“ (die Werbekampagne ist mit 50 Millionen angeblich die teuerste und größte des Unternehmens), dürfte das auch nicht viel nützen: Denn der Verband der amerikanischen Schallplattenindustrie RIAA hat gerade verkündet, dass 1998 in den USA mehr Hip-Hop- als Country-Platten verkauft wurden. GERRIT BARTELS
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