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Filmdorado Bollywood

Die Filmindustrie von Bombay produziert Plots über Leidenschaft und Liebe am laufenden Band. Hollywood? Vergiss es! Eine Fotoreportage von Dieter Telemans/ROPI

Amerikanischer Film ist laut Roland Barthes ein Pleonasmus – wie weißer Schimmel. Entsprechend nennt man die indische Filmmetropole Bombay auch „Bollywood“. Etwa 900 Filme werden dort jährlich produziert, so genannte „Bombay Masalas“, was auf eine Gewürzmischung anspielt. Diese „Mischung“ muss jedesmal stimmen. Hollywood hat auf dem riesigen indischen Filmmarkt keine Chance.

Masalas dauern über vier Stunden, die Kinos sind üppig ausgestattet und beschäftigen bis zu hundert Leute. Das Publikum ist äußerst kundig. Wer in seinem Dorf kein Kino hat, kann sich die Filme als Fotoroman und die Filmmusik als Cassette kaufen. Die Bahnhofskinder in Bombay betteln nicht um Essen, sondern um Geld fürs Kino. Sie kucken bis zu zehn Filme die Woche.

Seit einiger Zeit gewinnt der indische Film über indische Emigranten in England und den USA, aber auch hier zu Lande immer mehr Fans. Sein „Image“ und die professionellen Geschmacksurteile über die großen Bollywoodproduktionen sind im Westen noch schwankend. Nur in einem ist man sich einig: Der Inder, und erst recht die Inderin, kann tanzen wie verrückt, und ihre Gesänge lassen sich hören. Auch fehlt es den feingliedrigen Menschen dort nicht am Sinn für Humor. Aber schon ob dieser eher unfreiwillig ist, bleibt umstritten. In der Süddeutschen Zeitung mäkelte Andreas Benzinger über den Kinohit „Sag, dass du mich liebst“: „Eine ziemlich einfach gestrickte Liebesgeschichte. Suggestive Szenen statt echter Erotik.“ Dorothee Wenner hingegen schwärmte in der Zeit über den Kinohit „Taal“: „Spätestens, wenn sie heimlich seine offene Colaflasche an ihren samtigen Mund führt: eine Szene so verführerisch und erotisch, dass die Zuschauer im überfüllten Saal vor Spannung zu kreischen beginnen.“ Ja, in den indischen Kinos wird viel gekreischt, aber noch mehr gelacht und geklatscht, sogar mitgesungen.

Auch die Hauptdarsteller machen sich oft über ihre Schmachtrollen lustig. „Hollywood films make sense, Bollywood films don’t!“, erklärte eine indische Filmdiva einmal einem Europäer den Unterschied. Ihre Starrolle jedoch leben die Leinwandhelden mit großem Ernst aus. Viele gehen in die Politik und scheuen nicht einmal davor zurück, sich als Heilige zu inszenieren. Auch das passt zum Klischee, man könne die Inder nicht ganz ernst nehmen – jedenfalls nicht so ernst wie einen White Anglo-Saxon Protestant (WASP) und seine Kulturabsonderungen.

Bereits in den Sechzigerjahren haben sich indische Emigranten im Commonwealth entgegen der ihnen zugedachten Zwischenposition im Status eines „Coloured“ für die Solidarität entschieden und sich selbst als „Blacks“ bezeichnet. Als die Schwarzen anfingen, sich und ihre Schönheit zu feiern, begann ihr Marsch durch die Entertainmentindustrie. Dabei kam etwa Eddy Murphy raus. Das indische Kino hat schon lange viele Eddy-Murphy-Typen. Tanzen und singen lässt es sie gerne in der Schweiz und in Norwegen. Vielleicht haben wir es hier mit einem Remake der uralten indo-europäischen Mythen – als Soap – zu tun? HELMUT HÖGE

Hinweise:

Dieter Telemans, geboren 1971 in Burundi, ist Belgier und arbeitet als Fotograf für die deutsch-italienische Fotoagentur ROPI.Den besten Einblick in die indische Filmindustrie liefert Dorothee Wenners Buch „Zorros blonde Schwester. Das Leben der indischen Kinolegende Fearless Nadia“. Ullstein, Berlin 1999, 288 Seiten, 22 Mark

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