De conspiratione mundi

■ Was die Welt im Innersten zusammenhält, erklären Jürgen Roth und Kay Sokolowsky am Sonnabend in der Schauspielhauskantine Von René Martens

Kay Sokolowsky ist gewiss „kein Feigling“, wie er selbst sagt. Aber wenn der Neugrabener Autor einem „zweimal zwei Meter großen Catcher-Typen“ gegenüber steht, dann wählt er lieber den taktischen Rückzug. So geschehen nach einer Lesung in Düsseldorf, auf der er und sein Kollege Jürgen Roth ihr Buch Der Dolch im Gewande. Komplotte und Wahnvorstellungen aus zweitausend Jahren vorgestellt hatten. Schon während der Veranstaltung waren Sokolowsky der Schrank und seine zwei Begleiter aufgefallen, hatten die doch „überhaupt nicht gelacht“. Also ging er zu Beginn der Afterhour auf die kleine Gruppe zu, um freundlich zu fragen, wie ihnen die Lesung gefallen hatte – und hätte sein gentlemanlikes Verhalten beinahe bereut.

„Der Schrank war der Guru des Trios“, erinnert sich Sokolowsky. „Er hat fünf Minuten lang monologisiert über die wahren Hintergründe des Zweiten Weltkrieges sowie die Auftraggeber, die Hitler gesteuert haben und die bis heute nicht bekannt sind – und um das zu unterstreichen, hat er vor meiner Brust ständig mit seinem rechten Zeigefinger herum gefuchtelt. Die anderen haben immer nur ergeben genickt, das waren richtige Spinner, echte Akte X-Fans. Als es mir zu bedrohlich wurde, habe ich mich aufs Klo verzogen.“

Heute abend dürfte sich das Autoren-Duo dagegen sicher fühlen, denn der Auftritt in der Schauspielhaus-Kantine ist ein Heimspiel. Im Rücken haben Sokolowsky und der von Bild anlässlich seines aktuellen Verona-Feldbusch-Buchs unlängst als „Philosophiewissenschaftler“ titulierte Jürgen Roth die Mannschaft der veranstaltenden konkret-Verlags, der den Band veröffentlichte. Das Buch, das dem Catcher und seinen Jüngern missfiel, ist eine Sammlung von unter anderem Essays, Satiren und E-Mail-Dialogen über das Wirken von Verschwörungstheoretikern. Aktuell ist Der Dolch im Gewande nicht zuletzt, weil Verschwörungstheorien in den 90er Jahren populärer gewesen sind denn je: Man denke nur an die Spekulationen um den Tod von Lady Di oder die Möglichkeiten des Internets.

Die neun Beiträge decken ein breites Spektrum ab: Roth/Sokolowsky begeben sich auf Spurensuche ins 5. Jahrhundert, wo sich die fränkische Merowinger-Familie, die in den Konstrukten vieler Komplott-Fans eine wichtige Rolle spielt, erstmals bemerkbar machte, sie polemisieren gegen Euro-Geg-ner, die in apokalyptischen Szenarien die „Dolchstoßlegende“ wieder aufleben lassen, und sie sezieren die Mythen, die sich, von Elvis bis Tupac, um die Sterbefälle diverser Pop-Ikonen drehen.

„Vom esoterischen Geraune bis zur faschistischen Agitation ist es ein kleiner Schritt“, schreiben die Autoren in der Einführung. Nachdem derlei Grundsätzliches klar gestellt ist, attackiert das Duo die gemeinhin humorlosen „Konspirationsarchitekten“ (Roth/Sokolowsky) auf weitgehend unernste und launige Weise. Man spürt hier die Lust, überkandidelte Formulierungen zu finden, die schwer zu toppen sind. Und man ahnt, dass es einen gewissen Reiz gehabt haben muss, sich mit dem einen oder anderen Unfug zu beschäftigen – wenn man mal absieht von den Traktaten gemeingefährlicher Märchenerzähler, etwa des antisemitischen Heyne-Autors E.R. Carmin (Das schwarze Reich). Stilistisch völlig missglückt ist allerdings ein philosophiegeschichtliches Kapitel, in dem einige Formulierungen Schopenhauers gegen Hegel kaputt gequatscht werden.

Mit der heutigen Veranstaltung, so Kay Sokolowsky, hoffe man durchaus, den einen oder anderen „Irren anlocken“ zu können. Das sei, trotz des Erlebnisses in Düsseldorf, weiterhin „interessant“. Ob Abgeordnete von Hamburger Akte X-Fanclubs erscheinen werden, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

heute, Schauspielhaus (NachtKantine), 21 Uhr

Kay Sokolowsky/Jürgen Roth, Der Dolch im Gewande . Komplotte und Wahnvorstellungen aus zweitausend Jahren, KVV konkret, Hamburg 1999, 184 Seite, 22,80 Mark