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Rückkehr des verlorenen Patriarchen

Maskenhaft starr sitzt Helmut Kohl sein Comeback in den Bundestag aus, dessen Sitzungen er seit November ferngeblieben war. Bei der Feierstunde zur ersten freien Volkskammerwahl vor zehn Jahren schiebt ihn seine Fraktion in die dritte Reihe ab

aus BerlinBETTINA GAUS

Helmut Kohl neigt seit vielen Jahren zur Sentimentalität, vor allem bei Anlässen feierlichen Gedenkens. Gestern aber blieben seine Augen trocken. Weitgehend reglos saß der Altkanzler auf seinem Platz im Deutschen Bundestag, die Hände vor dem Bauch gefaltet. Undurchdringlich blieb seine Miene fast die gesamten drei Stunden hindurch, in denen das Parlament auf einer Sonderveranstaltung an die erste freie Wahl zur DDR-Volkskammer vor zehn Jahren erinnerte.

Mit keiner Geste und mit keiner Bewegung hat der fast 70-Jährige die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen versucht. Das wäre allerdings ohnehin überflüssig gewesen. Alle, die auf den dicht besetzten Pressebänken Platz genommen hatten, waren nur aus einem einzigen Grund in das Reichstagsgebäude gekommen: um zu verfolgen, wie der ehemalige Regierungschef, der im Mittelpunkt des CDU-Finanzskandals steht, in den Bundestag zurückkehrt, dessen Sitzungen er seit dem 24. November ferngeblieben war.

„Ganz normal“ sollten die Abgeordneten mit Kohl umgehen, hatte Bundeskanzler Schröder vor der Veranstaltung erklärt. Aber schon die Sitzordnung war ein Minenfeld. Nicht auf seinem angestammten Platz in der zweiten Reihe wurde Helmut Kohl platziert, sondern in der dritten Reihe, schräg hinter Generalsekretärin Angela Merkel. Neben ihr, rechts außen, der scheidende Parteichef Schäuble, der vor Kohl ins Plenum gekommen war. Begrüßt haben sich die beiden nicht, jedenfalls nicht vor den Augen der Öffentlichkeit. Der neue Fraktionschef Merz saß in der ersten Reihe. Links außen.

So viel Platz, wie protokollarisch gerade eben noch vertretbar war, lag zwischen den alten und den neuen Leitwölfen der Union. Niemand sollte jemand anders im Nacken sitzen, niemand allein durch physische Präsenz den Vorgänger oder den Nachfolger erdrücken – oder selbst erdrückt werden. Aber es galt nicht nur, Empfindlichkeiten im Blick auf die interne Hackordnung zu berücksichtigen. Zu bedenken war auch die unmittelbare öffentliche Wirkung. Fernsehbilder von allzu großem symbolischem Gehalt wollte die neue Fraktionsführung nach Möglichkeit verhindern.

Innerhalb der Union war die Sitzordnung durchaus umstritten. „Eine unerträgliche Demütigung“ nannte der sächsische CDU-Abgeordnete Arnold Vaatz die Platzierung Kohls, des Kanzlers der Einheit, bei ausgerechnet dieser Veranstaltung in der dritten Reihe – für Vaatz Grund genug, der Feierstunde fernzubleiben. Vor wenigen Monaten sah es so aus, als ob Kohls Verdienste im Zusammenhang mit der deutschen Einheit dessen Seligsprechung noch zu Lebzeiten quasi zwangsläufig nach sich ziehen müssten. Gestern ist es dann Bundestagspräsident Wolfgang Thierse gelungen, den ehemaligen Bundeskanzler in seiner Rede nicht ein einziges Mal auch nur zu erwähnen. Die ehemalige Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl (CDU) umschiffte die Klippe eleganter: Sie wolle „auch daran erinnern, dass die großen Verdienste der beiden damaligen Regierungen unter Helmut Kohl und Lothar de Maizière unvergessen sind“. Herzlicher Applaus der großen Mehrheit des Hauses.

Aber die Spendenaffäre stand im Raum. Der ehemalige Bürgerrechtler Wolfgang Ullmann warf mit deutlicher Anspielung auf Kohl die Frage auf, ob es denn irgendeinen Grund dafür geben könne, dass ein Abgeordneter das Gesetz oder die Verfassung nicht zu achten bräuchte? Er könne sich dafür keinen Grund vorstellen. Mit angespannten Gesichtern starrten Merz und Schäuble vor sich hin. Nach Ullmanns Rede rührte sich bei der Union keine Hand zum Applaus.

Regen Beifall von CDU und CSU bekam dagegen wenig später ausgerechnet Gregor Gysi von der PDS, als er – locker und voll milder Ironie – an Kohls Wahlkampfeinsatz in der DDR erinnerte. Fast dankbar schien die Fraktion zu sein, dass ihr endlich eine Gelegenheit geboten wurde, ihrem alten Kämpen Kohl den Tribut zu zollen. Der richtete sich ein wenig auf, verlor etwas von seiner fast maskenhaften Starre, lachte ein paar Mal über Gysis Pointen. Und klatschte am Schluss der Rede.

Nichts ist mehr so, wie es früher war. Einfach schien die Situation für niemanden zu sein, für Kohls Freunde nicht, aber auch nicht für seine Gegner. Die neue Fraktionsführung der Union hatte sich gewünscht, dass seine Rückkehr ins Plenum möglichst unspektakulär verlaufen möge. Dafür eignet sich eine Feierstunde noch vergleichsweise gut: Weder politische Angriffe noch Zwischenrufe sind dort üblich.

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