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Laute Engel

Zwischen Ziegelsteinen: Das Theater Moribà spielt Dostojewskis „Gespräche aus einem toten Winkel“

Wie ein Toter liegt der junge Mann unter einem weißen Laken. Früher war er Beamter, hören wir ihn später erzählen. Eines Tages hat er das Leben nicht mehr ausgehalten, schmiss alles hin und ging in den Untergrund. Es gab Zeiten, da hätte das bedeutet, dass der Mann sich einer Terrorgruppe anschloss, Motto: Macht kaputt, was euch kaputtmacht.

Hier ist die Sache mit dem Untergrund ganz buchstäblich gemeint, ein alter Keller eben. Da lebt der Mann nun – und macht nichts weiter kaputt als nur sich selbst. Die letzte Lebensenergie verschwendet er mit Schimpfen und Lamentieren. Das geht am Schluss sogar dem Engel und dem Teufel ziemlich auf die Nerven: Der Mann stammt aus Dostojewskis berühmten „Gesprächen aus einem toten Winkel“ und wurde von Thomas Roth auf die Bühne des 1999 gegründeten Theaters Moribà gebracht – einer Fabriketage in Friedrichshain, die auch ein bisschen was von einem toten Winkel hat.

Roth macht im Flur vor der Vorstellung schnell noch ein wenig Werbung für seine Projekte. „Das zu Entdeckende, das Neue“ übersetzt er den Namen des Theaters, der aus der Sprache der afrikastämmigen Kubaner stammt. Auf Kuba hat Roth ein Jahr gelebt und Theater gespielt, in einer international gemischten Truppe. Die internationale Arbeit will er in Berlin fortsetzen und plant den Austausch mit freien Gruppen vieler Länder durch Gastspiele und Workshops. Außerdem will er mit Friedrichshainer Kindern und Jugendlichen arbeiten. Sein Theater soll ein Kommunikationszentrum im Stadtteil werden. Lauter gute sozialpädagogische Absichten, für die man nicht unbedingt ein Theater braucht, aber jede Menge Idealismus.

Dostojewskis „Toter Winkel“ ist für Roth auch Sinnbild für unsere utopie- und hoffnungslose Zeit. Der Raum ist finster und wird erfüllt von schrägen Tönen und Geräuschen, die der Musiker Trötsch für den Abend beigesteuert hat. Der Held ist ein echter Jammerlappen, den Timo Semik mit der gewissen Portion Wahn und Selbstmitleid versieht, die man in solchen Fällen unbedingt erwartet. In seine Albträume steigen ein deftiger Teufel (Marie-Hélène Echard) und ein lauter Engel (Stephanie Kühn) ein. Die zwei traktieren unseren Helden ziemlich und wollen ihn ins Leben locken.

Doch er sinkt bloß immer tiefer in sein Elend ein. Liegt zwischen alten Ziegelsteinen herum, die seine Behausung begrenzen. Trifft andere Geister aus seinem verpfuschten Leben. Redet, schreit, pisst in einen Henkelmann und gießt sich das Ganze schließlich über den Kopf. Schwere Gedanken, in ausdruckstarkes Bewegungstheater verpackt. ESTHER SLEVOGT

Das nächste Mal am 23. und 25. März, 20 Uhr, im Theater Moribà im Studio 117, Boxhagener Str. 117

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