piwik no script img

BMW und Batman

Die israelische Künstlerin Orit Raff zeigt Fotografien von Schülerpulten in der Galerie Paula Böttcher

BMW und Batman werden nahezu verschluckt von verzerrten Symbolen, schrägem Gekritzel und Farbspuren. All diese ehemals lesbaren Parolen treffen auf alten Schülerpulten zusammen. Die israelische Künstlerin Orit Raff fotografierte mehrere solcher Pulte und bestückt mit „Inside Drawing“ derzeit die Wände der Galerie Paula Böttcher.

Geritztes, Gemaltes und Geschriebenes überlagert sich in den Fotoarbeiten, mehrere Jahre alte Spuren werden von neueren verdrängt oder integriert. Doch nicht nur die Motive verdichten sich und saugen einander auf, sondern auch die Zeitebenen. Das Alter der Markierungen ist ebenso wenig feststellbar wie die Identität der Schüler, die sich in einer tödlich langweiligen Unterrichtsstunde auf den Schultischen verewigten. Und der Betrachter ist krampfhaft damit beschäftigt, aus diesem Gewirr Sinn zu schälen.

Es bereitet Vergnügen, wieder ein Wort oder ein Zeichen erkannt zu haben, aber die zwangsweise Versenkung in die Kleinteiligkeit der Kritzeleien führt weiter. Erinnerung wächst aus dem Versuch der Dekodierung des vermeintlich Narrativen. Während dieses Entschlüsselungsversuchs verschwinden allerdings die Details, die konkreten Spuren Unbekannter gehen ein in die Struktur des Holzes. Einige der Pulte zeigen fast nur noch ihre eigene gealterte Struktur: Die kleinteilige Unterschiedenheit findet zu einer Gesamtheit.

Andere Fotoarbeiten von Raff konzentrieren sich völlig auf die Struktur und Unbeschriebenheit der weißen Linien eines aufgeschlagenen Schulhefts oder die Spuren der Kreide auf einer nassen Schultafel. Die israelische Künstlerin scheint hiermit an Positionen der Malerei aus den 50ern bis 70ern vom Abstrakten Expressionismus bis zur Konzeptkunst anzuknüpfen. An Rauschenberg mit seinen vielschichtigen Überlagerungen von Bildebenen, den Zitaten von Dingen der Alltagswelt oder seinen erased paintings. An Cy Twombly mit seinem oftmals so verächtlich bezeichneten „Kindergekritzel“, dem Einritzen von Strichmustern in eine Farbschicht. An Agnes Martin mit ihren seriellen Rastern oder an Ryman mit seiner Hervorhebung des Bildträgers, des Maluntergrunds und der seriellen Reihung. Eine Hinführung in die Unendlichkeit, eine Verlagerung der Kunst in den Kopf. Das eigene Werk, die fotografierte Tischplatte, scheint bei Raff Mittel zu werden, indem es als Druckplatte zur Vervielfältigung dienen könnte.

Aber doch nur könnte, denn Orit Raffs Arbeiten sind Fotografien, keine Reliefs oder Gemälde, die zudem von ihrer ursprünglich horizontalen in eine vertikale Lage gebracht wurden. Dreidimensionalität wandelt sich in Zweidimensionalität, und irgendwo dazwischen stecken Erinnerung und Assoziation fest. Fast verschwindet das Werk zwischen Materialität und geistiger Ebene. Ein leerer Raum als Wandelgang der persönlichen Gedanken ergibt sich, ein Raum für mehr als „Freak brothers live!“ und „Eric Clapton is good“. SANDRA FRIMMEL

Bis 1. 4., Mi.–Fr. 14–19 Uhr, Sa. 13–18 Uhr, Galerie Paula Böttcher, Kleine Hamburger Straße 15

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen