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Erstklassige Sicherheit

DAS SCHLAGLOCH von KLAUS KREIMEIER

„Ein Königreich für einen Bodyguard!“(Angeblicher Ausruf Richards III., als er von seinen Feinden umzingelt war)

Kohls ehemaliger Chef-Bodyguard Reinhold Hallerbach, so meldete der Spiegel vor ein paar Wochen, schützt heute den CDU-Förderer Karl Ehlerding. Das ist der Hamburger Immobilien-Milliardär, der zusammen mit seiner Frau der Partei kurz mal 3,4 Millionen Mark zugeschoben hatte – die bis dato höchste Einzelspende in der Geschichte der Bundesrepublik, die nun allerdings von dem erfolgreichsten Einzelspendeneinsammler in der Geschichte der Bundesrepublik, Kohl selbst, annähernd verdoppelt werden wird. Ehlerding, so heißt es, lege Wert auf „erstklassige“ Sicherheitskräfte, was jedem einleuchtet, denn mit der Höhe der Summen, die zwischen den Wirtschaftsbossen und ihren politischen Auftragnehmern (unpraktischerweise meist in Koffern oder Aktentaschen) transferiert werden, wächst proportional die Unsicherheit im Land; Entführer und Strauchdiebe liegen auf der Lauer. Erstklassige Sicherheit fordert ihren Preis. „Experten“, so der Spiegel, munkeln von einem „sechsstelligen Kompensationsbetrag“, den Ehlerding für die Ablöse Hallerbachs blechen musste. Als Abschlagszahlung an den Leibwächter – oder als Vermittlungsgebühr an die CDU?

Meines Wissens gibt es keine sozialpsychologische, auch keine kulturanthropologische Studie über den Bodyguard, geschweige dass sich die Geschichtswissenschaftler der Figur angenommen hätten. Aus der Sicht der Forschung sind diese Jungs einfach Unpersonen. Das ist seltsam, denn gäbe es genauere Erhebungen über ihren Status, ihre Ausbildung, ihre Körpermaße und ihr psychisches Inventar, nicht zuletzt über ihre erstaunliche Physiognomie und ihre Fähigkeit, wie gepanzerte Schränke in der Gegend herumzustehen – dann wüssten wir vermutlich mehr über die Strukturen unseres Gemeinwesens und über die abgedunkelten Winkel unserer Demokratie. Zumindest verfügten wir über eine gewisse Sachkenntnis, wenn wir vor den immer gleichen Fernsehbildern sitzen, in denen uns vierschrötige Gewichtheber in dunklen, scheinbar allzu knappen Konfektionsanzügen oder drahtige Zehnkämpfer mit scharf geschnittenen Gesichtern den Blick auf die Hauptfigur versperren.

Berichterstattungstaktisch und rezeptions-psychologisch sind Bodyguards frustrierend

Die Kameraleute des Fernsehens leben bekanntlich mit den Bodyguards auf Kriegsfuß. Sie wollen uns etwa zeigen, wie Kohl sein Berliner Privathaus verlässt, um irgendwohin, jedenfalls voraussichtlich nicht in den Bundestag zu fahren. Was sehen wir? Ein wieselflinker Herr mit Pokerface öffnet die Vorgartentür, ein zweiter reißt den Wagenschlag auf, ein dritter schiebt seinen Arm vors Kameraobjektiv. Mittendrin taucht kurz Kohls mächtige Doppelkinnpartie auf und blafft die Journalisten an. Dann kann man nur noch das Heck der davonrauschenden Limousine betrachten. Berichterstattungstaktisch und rezeptionspsychologisch sind Bodyguards mithin ein frustrierendes Phänomen. Auch politisch übrigens – man denke nur an den Kosovo-Parteitag der Grünen, als nach der Farbbeutelattacke auf Joschka Fischer eine Horde von Leibwächtern aufmarschierte, sich über die ganze Saalbreite aufbaute und von nun an die Sicht auf das Präsidium verstellte; noch heute frage ich mich, wie da den altlinken Herrschaften auf dem Podium wohl zumute gewesen sein mag.

In den letzten so lebendig verlaufenen Wochen konnten wir unser Wissen oder, was auf dasselbe hinausläuft, unser Fernsehwissen darüber bereichern, was es bedeutet, einen Bodyguard zu haben oder nicht. Keinen Bodyguard hat der bedauernswerte Herr Weyrauch. Der ist vermutlich aus Kummer darüber aus der CDU ausgetreten, dass ihn das Fernsehen immer nur als einsamen Kämpfer an seinem Garagentor zeigte. Immer dieselben erbärmlichen Bilder, wochenlang: Weyrauch hantiert voller Gram an seinem hässlichen, dringend eines Neuanstrichs bedürftigen Garagentor herum und geht mit heftigen Abwehrgesten in Richtung Kamera ins Haus. Schlagend wurde deutlich, in welche Abgründe ein Prominenter stürzen kann, dem die Haushaltslage die Haltung eines Leibwächters verweigert.

Wir wüssten mehr darüber, was unsere politische Welt im Innersten zusammenhält, wenn Bodyguards Memoiren schreiben würden. Sie verfügen über eine einzigartige Perspektive, die ihnen mehr Arkanwissen verschafft als allen anderen, die im Bannkreis der Verantwortungsträger herumlungern. Sie leben auf Augenhöhe mit der Macht – und in vermutlich beklemmender Körpernähe mit der jeweils mächtigen Person. Sie stehen im Epizentrum der geschichtlichen Ereignisse, aus denen sie gleichzeitig herausragen wie Türme in der Schlacht. Sie behalten den Machtträger und seine Regungen im Blick – und lassen unablässig ihr inneres Teleobjektiv kreisen, das die kleinsten Veränderungen in der Umgebung registriert.

Sie leben, wie es sich für Zeugen historischer Begebenheiten geziemt, in Hochspannung – aber ihre ganze Aufmerksamkeit gilt dem Unvorhersehbaren, das an der Peripherie des Geschehens auftauchen und mit einer Pistolenkugel oder einer Bombe den ganzen Zirkus zum Platzen bringen könnte. Mit einem Wort: Sie leben mitten in der Politik, die Kälte ist ihr Metier, und der größte anzunehmende Unfall kann ständig eintreten. Manchmal müssen sie lächerliche Regenschirme aufspannen, um faule Eier und Tomaten abzuwehren, und sterbenslangweilig ist der Job oft auch. Was könnten Bodyguards erzählen!

Aber Bodyguards schweigen sich aus. Seltsam: Kaum stirbt ein Diktator, setzt sich sein Chauffeur, sein Leibarzt, sein Kammerdiener hin und schreibt seine geschwätzigen Memoiren. Von Bodyguards ward solches nie gehört. Sie ragen stumm und stählern in die Luft. Ihre analphabetische Ausstrahlung ist Teil ihres professionellen Habitus. Sie entziehen sich der Welt des Verbalen – ob sie nun Tyrannen oder Popstars zu bewachen haben.

Kaum stirbt ein Diktator, schreibt sein Chauffeur seine Memoiren. Von Bodyguards ward solches nie gehört

Tyrannen benötigen übrigens keine Bodyguards, weil sie sowieso nie ohne ihre Prätorianergarden auftreten. Hitler, kurz vor dem Krieg auf der Höhe seiner Macht, konnte sich in Deutschland frei bewegen – um sich herum das deutsche Jubelvolk, die größte Prätorianergarde aller Zeiten. Als 1938 der Schweizer Missionsschüler Maurice Bavaud auf Hitler schießen wollte, standen einfach zu viele jubelnde Deutsche im Weg; er gab seinen Plan auf, wurde wenig später zufällig von der Gestapo geschnappt und 1941 hingerichtet. Wo frenetisch gejubelt wird, bedarf es keiner Bodyguards. Den Umkehrschluss daraus zog der Schah, als er 1967 Berlin besuchte und seine Jubelperser auf die außerparlamentarische Opposition einschlagen ließ. Bekanntlich nahmen die deutschen Dinge daraufhin einen anderen als den vorgesehenen Verlauf.

All dies lehrt uns abermals: Die Geschichtswissenschaftler, die Psychologen, die Kulturanthropologen und die Gegenwartsforscher sollten sich mehr um die Leibwächter kümmern. Hinter ihrem eisernen Schweigen, ihren reglosen Mienen verbirgt sich brisantes Material. Zur Zeit bewacht Reinhold Hallerbach also den Leib des Milliardärs Karl Ehlerding. Doch wer weiß – vielleicht wird er einmal sein Schweigen brechen und ein wenig ins Plaudern kommen: Geschichten aus den bewegten Tagen, als Kohl ihn an seinen bewährtesten Spender weiterempfahl.

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