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„Eines Tages die ganze Welt erleuchten“

Der friedliche Wahlausgang in Senegal ist auch deshalb so wichtig für die gesamte Region, weil die seit der Unabhängigkeit stabile ehemalige französische Kolonie in Westafrika politisch und kulturell den Ton angibt

BERLIN taz ■ „Heute ist Senegal ein Beispiel für ganz Afrika“, freute sich der senegalesische Altoppositionelle Landing Savané nach dem Wahlsieg seines Verbündeten Abdoulaye Wade. Ein Regierungswechsel durch ganz normale Wahlen ist in Afrika immer noch selten; ein Regierungswechsel durch Wahlen, ohne dass davor das bisherige Regime per Putsch oder Verfassungskrise zusammengebrochen wäre, hat es noch fast nirgends gegeben. Denn „in Afrika die Macht zu verlieren“, erklärt die sozialistische Zeitung der Elfenbeinküste Notre Voie in ihrem Jubelbericht über Wades Sieg, „ist wie der Tod eines nahen Verwandten“.

Senegal sieht sich schon immer als etwas Besonderes in Afrika. Es war die älteste französische Kolonie auf dem Kontinent; von Senegal aus startete Frankreich vor hundert Jahren seine Eroberungsfeldzüge in Westafrika und regierte dann von dort das eroberte Gebiet. In Senegal gab es schon während der Kolonialzeit Universitäten und Wahlrecht; aus Senegal kam die erste intellektuelle Elite des frankophonen Schwarzafrika – Leute wie Cheikh Anta Diop, der Historiker der afrikanischen Hochkulturen, oder Léopold Sédar Senghor, der Theoretiker der négritude und der erste Präsident Senegals nach der Unabhängigkeit 1960. Unter ihm fand Senegal in den 70er-Jahren als erster Staat in Afrika vom Einparteiensystem zum Mehrparteiensystem zurück. Bis heute halten sich Senegals Intellektuelle für die Meinungsführer und ihr Land für den eigentlichen Vorreiter der afrikanischen politischen Kultur.

Dass unter dem jetzt abgewählten Präsidenten Abdou Diouf, der 1981 die Nachfolge Senghors antrat, Senegal politisch verknöcherte und wirtschaftlich und intellektuell immer mehr verarmte, nahm die hauptstädtische Elite Dakars zutiefst übel. In den 90er-Jahren, als ringsum die Regierungen stürzten, wurde Senegal plötzlich vom progressiven Vorreiter zum stagnierenden Problemfall. Die Paralyse des Landes beschreibt der senegalesische Historiker Mamadou Diouf in seinem Standardwerk über Senegal unter Präsident Abdou Diouf so: „Die ökonomischen Aktivitäten sind dem Zwang der Erhaltung der herrschenden Schicht und ihrer Klientel untergeordnet.“

Mit dem friedlichen Machtwechsel ohne Systemkrise hofft Senegal nun, seine Ausstrahlungskraft wiederzuentdecken. Westafrika befindet sich ohnehin im politischen Umbruch. Die Elfenbeinküste, die ökonomisch eine ähnliche Führungsrolle spielt wie Senegal in der politischen Kultur, erlebte Ende 1999 bereits einen spektakulären politischen Umbruch, als das Militär völlig überraschend Präsident Henri Konan Bédié stürzte. Dieses Veränderungsmodell „friedlicher Militärputsch“ stieß zwar außerhalb Afrikas auf Befremden, reizt aber inzwischen Oppositionelle in vielen Ländern der Region, und auch in Senegal hätte die Opposition bei einer Wahlniederlage eventuell das Militär zu Hilfe gerufen. Ungeahnte Reife bewies Senegals Wahlverlierer, der sein Scheitern anerkannte, noch bevor es ein Endergebnis der Wahlen gab.

Dies mag allerdings nicht nur an intellektueller Einsicht in die Unvermeidbarkeit der Niederlage liegen. Auch höhere Gewalt spielte eine Rolle. Der Putsch in Elfenbeinküste geschah zu Weihnachten, dem wichtigsten Fest der Christen; die Stichwahl in Senegal fand zum Aid al-Kebir statt, dem wichtigsten Fest der Muslime. In Afrika würde ein Politiker selten wagen, sich gegen das Verdikt solcher Feiertage zu stellen. Und als Wade von seinem Sieg überzeugt war, reiste er als erstes zwecks Dankgebet zu seinem Marabut, dem Leiter der islamischen Muriden-Bruderschaft in der „heiligen Stadt“ Touba.

Tradition und Religion bieten eben die sicherste Legitimität. „Eines Tages“, so freut sich jetzt die religiöse Tageszeitung Wal-Fadjri, „wird Senegal die Welt erleuchten.“

DOMINIC JOHNSON

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