piwik no script img

Wie beim ersten Mal

Der Körper ist ein langsames, brutales Liebeslied: Die Berliner Tanzcompagnie Rubato feiert ihr fünfzehnjähriges Bestehen im Theater am Halleschen Ufer

Es fing alles ganz archaisch an, fast in der Vorgeschichte der Menschheit. Als bemooste und versteinerte Figuren begannen Jutta Hell und Dieter Baumann ihr Stück „Hochzeiten“ 1987, als ich sie das erste Mal auf der Bühne sah. Wie aus dem Ei geschlüpfte Vögel eroberten sie sich langsam den Raum, und erst dann traten sie in die Geschichte der Menschheit ein. Die Transformationen endeten mit dem alternden Körper und dem Verlust der Energie.

Jutta Hell und Dieter Baumann sind zusammengeblieben: als Paar und als Duo. Sie gehören zum harten Kern der freien Tanzszene Berlins und standen doch immer etwas an ihrem Rand. Als der Modern Dance sich mit seinem flüssigen und eleganten Stil durchsetzte, übten sie das Rohe, Raue und Stolpernde.

Rubato lieferten ihre Figuren der Zeit und der Verletzbarkeit aus, sie warfen sich in die Luft wie der Torwart beim Elfmeter und riskierten den Sturz, bevor sich der akrobatische Stil in den Neunzigerjahren etablierte.

Da arbeitete das Duo mit dem Choreographen Gerhard Bohner an einer minimalistischen Bewegungssprache. „Das Eigene in der Abstraktion zu finden, war wichtig“, blickt Jutta Hell zurück. „Man muss das durch den eigenen Körper, den eigenen Geist gehen lassen, sonst hat man es nicht gelebt.“

„Der Körper ist ein langsames Instrument“, meint Dieter Baumann. „Wie Leben zusammengesetzt ist, verstehe ich heute viel besser als vor zehn Jahren.“ Er beschreibt ihre Stücke als Forschungsarbeiten, die leiblich zu erfahren suchen, was in der Auseinandersetzung mit theoretischen Konzepten und philosphischen Diskursen begann.

Als die Tanzszene Westberlins vor 15 Jahren erstmals mit Erfolg mehr Spielorte für sich verlangte, entstanden viele Duos. Doch der Atem reichte bei kaum einem so weit wie bei Rubato, die inzwischen 20 Stücke herausgebracht haben. „Damals war Berlin ein geschützter Ort“, erinnert sich Hell. „Man hatte mehr Zeit sich auszuprobieren. Heute muss man viel klarer definieren, was man als Choreograph will.“

„Wir wollen kein Video, kein Theater, keine Livemusik. Der Körper hat genug Kompetenz und Relevanz“, führt Baumann aus. „Wenn wir es mit ihm nicht schaffen, dass die Leute einfach hingucken, dann haben wir etwas falsch gemacht.“ Er wünscht sich, für Gruppenproduktionen mehr Zeit zu haben als die drei Monate Proben, die mit Fördermitteln zu finanzieren sind.

In den Gruppenstücken verbanden sich die groteske Verwringung des Körpers und die geometrische Klarheit, das Erzählerische und das Expressive nicht immer zu einer homogenen Struktur. In der Fortsetzungsgeschichte ihrer Duette dagegen sind sie präzise und entschieden: Man spürt die Kompetenz, die aus der langen gemeinsamen Erfahrung wächst.

Baumann, geboren 1954, fing mit zehn Jahren seine Ausbildung als Kunstradfahrer an. Dass der Leistungssport den Körper ausbeutet, ist heute öffentliches Thema, die Tanzszene dagegen stellt sich gerne als Hüter über ein sensibles Körperbewusstsein dar. Dabei leiden nicht nur Balletttänzer, auch in der Freien Szene werden junge Tänzer verschlissen. „Die haben nicht gelernt, auf sich zu achten“, sagt Dieter Baumann und gibt zu: „Diskutiert wird darüber nicht. Man nimmt es hin.“

Ihr 15-jähriges Bestehen feiert Rubato mit dem Männer-Quartett „Kiss me here“ für Tänzer und Performer und mit dem Duett „This is not a lovesong“, das als ihr bestes Stück gilt: „Zwei Mensch ringen um Akzeptanz ihrer Andersartigkeit. Das wühlt Konfliktstoff auf, den sie rigoros strukturieren. Die Geometrie steht in Flammen“, schrieb Irene Sieben in tanz aktuell. Seit Oktober waren sie damit auf Tournee und kommen jetzt ins Theater am Halleschen Ufer zurück.

KATRIN BETTINA MÜLLER

„Kiss me here (the brutality of facts)“, heute bis Sonnabend, „This is not a lovesong“, 29. 3. bis 1. 4, Theater am Halleschen Ufer, jeweils 21 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen