: Die Härte ist zumutbar
Gericht: Beamtin am Deutschen Patentamt muss mit ihrer Behörde nach Jena umziehen
Was darf man deutschen Staatsdienern zumuten? Das war die Kernfrage, die gestern das Berliner Verwaltungsgericht in einem wegweisenden Verfahren zu behandeln hatte. Darf eine Bundesbehörde etwa von ihren Beamten verlangen, in eine andere Stadt zu wechseln, wenn sie selbst dorthin umzieht? Und was ist für Bundesbeamte eine „außergewöhnliche Härte“, die sie davor schützt, den Dienstort zu wechseln, auch wenn die Volksvertretung schon vor neun Jahren beschlossen hat, dass die Regierung nach Berlin umzieht?
Der Fall: Die 49jährige Beamtin Brigitte V. aus Berlin war bis vor knapp einem Jahr in der Berliner Dienststelle des Deutschen Patentamtes tätig. Ihre Dienststelle aber musste umziehen, nach Jena – ein Ausgleich für die vielen Bundesbehörden, die im Zuge des Regierungsumzugs nach Berlin wechseln sollten. Vor zwei Jahren eröffnete das Patentamt mit 190 Mitarbeitern in Jena seine Pforten. Brigitte V.s Abteilung wechselte als letzte.
Doch diesen Wechsel an die Saale fand die Beamtin des gehobenen Dienstes nicht zumutbar. Sie wollte in Berlin bleiben, wo immer noch 110 Angestellte und Beamte in einer Außenstelle des Patentamtes blieben. Das Besondere an dem Verfahren: Zwar haben wie sie ungefähr 50 Angestellte von Bundesbehörden vor Gericht versucht, ihre Versetzung in eine andere Stadt im Zuge des Umzugsbeschlusses des Bundestages zu verhindern. Doch niemand ist bisher damit durchgedrungen – und Brigitte V. war die erste Beamtin, deren Klage in der Hauptsache überhaupt verhandelt wurde.
Die Klägerin argumentierte nun, sie müsse in Berlin bleiben, da ihre 85-jährige Schwiegermutter, die in Mecklenburg-Vorpommern wohnt, von ihr gepflegt werde. Außerdem habe sie drei Töchter, von denen die Jüngste, 20 Jahre alt, noch ihrer Aufsicht bedürfe. Vor allem aber sei eine Trennung von ihrem Mann nicht zumutbar, so Brigitte V. Ihr Gatte arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Akademie der Wissenschaften in Berlin und finde mit seiner Qualifikation nirgendwo anders einen Job.
Doch das Gericht zeigte von Beginn des Verfahrens an wenig Verständnis für ihre Argumente. Jeder Beamte habe eine „Folgepflicht“, das heißt, er sei verpflichtet, dem Standort seines Schreibtisches zu folgen, wenn der Dienstherr dies so wolle. Bundeswehrsoldaten, Bundesgrenzschutz- und Zollbeamte gehorchten solchen Weisungen schon seit Jahrzehnten – und Beamte von Bundesbehörde seien rechtlich gesehen von ihnen nicht zu unterscheiden.
Es gebe allerdings eine Chance: Wenn eine „außergewöhnliche Härte“ eines Falles dies geboten erscheinen lasse, könne der Dienstherr darauf verzichten, von seinen Bediensteten die Folgepflicht einzufordern. Aber was ist eine „außergewöhnliche Härte“? Unter anderem nicht der Bau eines Hauses des Beamten an dem bisherigen Standort der Behörde – und auch nicht der Arbeitsplatz des Ehepartners. So habe das Bundesverwaltungsgericht bereits in mehreren Fällen entschieden.
Brigitte V. zeigte sich hellhörig von den Andeutungen der Verwaltungsrichter. Nach einer Verhandlungspause erklärte sie mit ihrem Anwalt: Sie ziehe ihre Klage zurück. Ein für sie negatives Urteil, das sich abzeichnete, wäre für sie teurer gekommen. Doch auch jetzt hat sie der ganze Spaß 2.400 Mark gekostet.
Die Klägerin hofft jetzt auf ihre oberste Dienstbehörde, das Bundesjustizministerium. Die solle doch eine Stelle in Berlin in ihrer Besoldungsstufe finden, appellierte sie vor Gericht. Kündigen könne sie ja nicht: Wer wolle sie schon, als langjährige Beamtin? Doch ihre 60 Bewerbungen bei Vater Staat blieben bisher alle erfolglos. PHILIPP GESSLER
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