: Hackesche Höfe von hinten
Otto Weidt hat in seiner Blindenwerkstatt während der NS-Zeit Juden beschützt. Die Zukunft der Ausstellung „Blindes Vertrauen“ in den authentischen Räumen soll ein Förderverein sichern. Das Haus steht vor Verkauf und Sanierung.
von SILVIA LANGE
Von den strahlend sanierten Hackeschen Höfen sind es nur ein paar Schritte bis zur nächsten Hofeinfahrt in der Rosenthaler Straße 39. Zwischen dunklen Höfen steht ein Fabrikgebäude, von dem der Putz bröckelt. Hier war die Werkstatt von Otto Weidt, in der knapp dreißig jüdische Blinde und Taubstumme während des Nationalsozialismus gearbeitet haben. In seinem „wehrwichtigen Betrieb“ ließ der fast erblindete Weidt Besen und Bürsten herstellen und versuchte alles, um seinen jüdischen Mitarbeitern das Leben zu erleichtern.
In drei Räumen der ehemaligen Werkstatt erzählt die Ausstellung „Blindes Vertrauen – Versteckt am Hackeschen Markt“ seit gut einem Jahr die Geschichte von Otto Weidt. Der unerschrockene Pazifist versteckte eine jüdische Familie hinter einem Schrank in einer Abstellkammer der Fabrik, organisierte weitere Verstecke und verhalf einer Angestellten zur Flucht aus dem KZ. Seine Besen und Bürsten verkaufte er nicht nur an die Wehrmacht, sondern auch auf dem Schwarzmarkt. Nur dadurch konnte er überhaupt so viele jüdische Arbeiter beschäftigen und mit Lebensmitteln versorgen.
Im Februar 1942 wurden auch die Arbeiter aus Weidts Blindenwerkstatt in das Deportationssammellager in der Großen Hamburger Straße gebracht. Weidt bestach die Beamten der Gestapo, forderte die Arbeiter für seinen „kriegswichtigen“ Betrieb zurück und holte sie persönlich ab: „An der Spitze seiner Blinden, die untergehakt hinter ihm liefen und den Judenstern an ihren Lederschürzen trugen, ging er zu Fuß zur Werkstatt zurück.“ In ihrem Buch „Ich trug den gelben Stern“ beschreibt die Schriftstellerin Inge Deutschkron, wie ihr Otto Weidt mit einem falschen Ausweis zu einer neuen Identität verhalf. Seit 1941 arbeitete sie als Schreibkraft in seinem Büro, was Juden eigentlich streng untersagt war.
Auf den Aussagen von Inge Deutschkron und dem Zeitzeugen Hans Israelowicz beruht die Ausstellung, die sechs Studierende der Museumskunde von der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft im März 1999 eröffneten. Eigentlich war die Geschichte von Otto Weidt schon länger bekannt: In der Gedenkstätte Deutscher Widerstand liegen die von Inge Deutschkron gesammelten Originaldokumente und in der israelischen Gedenkstätte „Jad Vaschem“ ist er als einer der „Gerechten unter den Völkern“ geehrt. Doch nur durch einen Zufall haben die Studierenden die authentischen Werkstatträume entdeckt, von Bauschutt befreit und die Ausstellung im Rahmen ihrer Diplomarbeit organisiert.
Ebenso zufällig stießen sie auf Hans Israelowicz, der eines Tages plötzlich im Hof stand und seiner Frau seine ehemalige Arbeitsstätte zeigte: „Da hab ick jearbeetet!“ Seit 55 Jahren ist er dort nicht mehr gewesen, obwohl er in Berlin wohnt. Jetzt sind sein Judenstern und seine Schuhbürste, die er bei Otto Weidt angefertigt hat, in der Ausstellung zu sehen.
Doch es fragt sich, wie lange noch. Denn das Haus in der Rosenthaler Straße wird nach der Rückübertragung wohl noch in diesem Jahr verkauft werden. Darauf haben sich die 34 Erben des jüdischen Rechtsanwaltes Ernst Wachsner geeinigt, dem das Haus 1940 durch Enteignung genommen wurde. Seit 1995 nutzt der Verein Schwarzenberg das Haus. Das Off-Kino Central, ein Klub und Kunstateliers finden dort neben der Ausstellung „Blindes Vertrauen“ Unterschlupf. Auch wenn das Gebäude auf Druck der Ausstellungsmacher mittlerweile unter Denkmalschutz steht, wird das Haus auf dem attraktiven Standort nach dem Verkauf saniert werden.
Ausstellungs-Initiatorin Ariane Kwasigroch befürchtet, dass dann „alle Spuren verwischen und die Geschichte nicht mehr so plastisch erzählbar“ sein wird. In den authentischen Räumen bekämen vor allem Jugendliche einen anschaulichen Zugang zum Nationalsozialismus. Zusammen mit Inge Deutschkron versucht Kwasigroch nun, den Erhalt der Ausstellung langfristig zu sichern: Am kommenden Dienstag um 18 Uhr wird in der ehemaligen Blindenwerkstatt ein Förderverein gegründet. Eingeladen sind neben Privatpersonen auch Institutionen wie das Jüdische Museum, die Gedenkstätte Deutscher Widerstand und das Grips-Theater. Ob sie tatsächlich in den Verein eintreten werden, ist unklar. Weitere Förderer sind erwünscht.
Die Ausstellung „Blindes Vertrauen“ ist freitags bis sonntags von 13 bis 19 Uhr geöffnet. Tel.: 28 59 94 07
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