: Nichts anderes als Kolonialismus
betr.: „Experten: Green Cards reichen nicht“, „Green Card lieber per Gesetz“, taz vom 21. 3. 00
Mit immer größerer Verwunderung und Erbitterung verfolge ich die Diskussion um die Anwerbung von hochqualifizierten Computer-Experten aus dem Ausland. Dass es sich bei „Ausland“ um Entwicklungsländer (dazu zählen durchaus auch die Länder des Ostblocks, und nicht nur Indien) handelt, wird in der Diskussion nicht deutlich!
Was hier in die Wege geleitet wird von einer „sozial“-demokratischen Partei und dem grünen Kämpfer für weltweite Gerechtigkeit, ist nichts anderes als Kolonialismus, sprich Ausbeutung von schwächeren Ländern. Heute sind es nicht mehr die „Kolonialwaren“ und billigen Rohstoffe für unsere Industrie und für die Nahrungsmittelindustrie, -veredelung, die diesen Ländern unter Wert und zu unserem Vorteil „abgekauft“ werden, sondern – was noch schwerer wiegt – die menschlichen Ressourcen, das menschliche Entwicklungspotenzial dieser Länder. Diese investieren einen erheblichen Anteil ihres Volkseinkommens in die Ausbildung von Experten, bauen eine durchaus respektable Softwareindustrie auf, die endlich Anschluss an den globalen Markt erreicht und zur Entwicklung des Landes beiträgt. Hierbei vollzieht sich wirtschaftliche und soziale Entwicklung, die diesen Ländern eine Perspektive bietet, Anschluss an die Industrieländer (zumindest in Teilbereichen) zu erlangen.
Dies ist offiziell zumindest Ziel unserer Entwicklungshilfepolitik (solange unsere wirtschaftliche Entwicklung nicht gestört wird?!). Doch dann „greifen die Gesetze des globalen Marktes“! Darf es wahr werden, dass unsere Gesellschaft sich wieder auf Kosten der Ärmsten bereichert?! Denn bei den „eingeladenen“ Computerexperten handelt es sich doch nicht um Arbeitslose oder Hilfebedürftige dieser Länder, sondern um kostspielig ausgebildete Spitzenkräfte, die nun vor Ort abgeworben werden sollen. Wer fühlt sich verantwortlich für den volkswirtschaftlichen Schaden, der diesen Ländern entsteht? Wer vermag die sozialen Auswirkungen abzuschätzen – dort, aber auch hier in Deutschland, wo viele Arbeitslose auf Weiterqualifizierung hoffen (die Industrie aber auf kurzfristige Gewinnmitnahme aus ist und der Staat Qualifizierungskosten einspart)?
Warum, warum wird dieser Aspekt nicht öffentlicht diskutiert?HARTMUT GÖBERT, Schledehausen
Was für ein Schwachsinn! Programmierer können in Zeiten des WWW überall auf der Welt für jedes Land arbeiten. Eine Einwanderung wäre dafür nicht nötig.
Es geht nur darum, deutsche Qualität zu amerikanischen Vertragsverhältnissen und indischen Löhnen zu bekommen. Die arbeitslosen inländischen Fachkräfte sind der Industrie nur zu teuer, und es gibt nicht genug Konkurrenz im Arbeitsmarkt, um die Preise zu drücken.
Das kommt davon, wenn man sich seinen Nachwuchs nicht selbst ausbildet. Was die Industrie wohl an Schmiergeld für die Green Cards gezahlt hat? CARSTEN JANSCHKÄ, Halstenbek
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