: Wiederentdeckung des Gefühls
■ Das Philharmonische Staatsorchester spielt jetzt auch Filmmusik. Bei der Premiere eroberte es sich gleich ein junges Publikum. Hingehen unbedingt empfehlenswert: Die Aufführung wird zweimal wiederholt
Passender hätte es nicht sein können. Es war wie das Hors d'÷uvre zur großen Nacht der Oscarpreis-Vergabe. Am Vormittag davor spielte das Philharmonische Orchester – zum ersten Mal in Eigenregie – oscarprämierte Filmmusik aus zum Teil auch sonst oscarüberhäuften Kassenschlagern: „Titanic“, „Der mit dem Wolf tanzt“, „E.T.“, „Jurassic Park“, „Star Wars“.
Schon vor etwa vier Jahren wurde ich in einem ganz ,normalen' Klassikkonzert frech überrumpelt von John Williams Star-Wars-Suite. Typisch die blasierte Reaktion von mir und vielen anderen, ein einziges, langes „Naja“: Ganz nett gemacht, ganz unterhaltsam, aber arg flach, pah. Schließlich, wie steht man denn vor sich selbst da, wenn man die Seele hemmungslos auf strahlenden Blechfanfaren oder rührenden Flötensoli dahinsegeln lässt.
Vier Jahre später bin ich begeistert. Auch das ist vermutlich typisch. In einer Zeit der ausgeschöpften Möglichkeiten und des Mangels neuer Formen entdecken viele das Glück in verdrängten sentimentalen Genres: Für die einen ist es der Schlager, für die anderen Country. Und unser Freitagskolumnist Urdrü fährt total ab auf Ballettmusik (Dornröschen, Schwanensee). So etwas wie die Wiederentdeckung von emotionaler Größe und Einfachheit. Und es gibt genug Leute, die diese Lizenz zum Mitwippen, Eintauchen, Hinschmelzen und zum Durdreiklang für absolut avantgardisitisch halten, heutzutage. Hatte doch noch vor 20 Jahren gar mancher nach der Lektüre von Adornos „Philosophie der Neuen Musik“ (1949) ein schlechtes Gewissen beim Goutieren des von ihm so sehr gehassten martialischen Rumpelns von Strawinskis „Le Sacre ...“.
In der Pause lässt sich denn auch trefflich darüber streiten, worin denn nun eigentlich der Unterschied zwischen Beethoven und Williams liegt. Die formale Kom-plexität ist es wohl nicht. Brüche, Entwicklungen, Farbwechsel, hier ein rhythmisch querständiges Schlagwerk, dort ein merkwürdiges Paukengrummeln unter dem lichten Glockenspiel: Auch ein John Williams liebt das Verfrickelte. Mangelt es dann diesem Durig-Euphorischen, Triumphverliebten an der so oft beschworenen „Tiefe“? Oder ist es der Deutschen Angst vor dem geradlinigen, großen Gefühl. Schließlich erschienen uns schon die älteren Amerikaner, Samuel Barber oder Aaron Coplands „Hymne für den einfachen Mann“ merkwürdig satt, neoromantisch und oberflächlich – und niemand wusste so recht auf welcher Seite des Ozeans dieses Defizit zu lokalisieren ist.
In den 60er Jahren war alles anders. Da dockte die Filmmusik ans Zeitgenössische an: Miles Davies vertonte Louis Malles „Fahrstuhl zum Schafott“ (1957), Herbie Hancock Antonionis „Blow up“, daneben viele Synthieklänge. Erst für die 80er konstatierte Deutschlands größter Filmtheoretiker Georg Seeßlen 1993 in einem Grundsatzessay eine Wiedergeburt des Orchestralen: Für den brillanten, doch zur Verkniffenheit neigenden Wissenschaftler eine filmmusikalische Ursünde, zu der sich noch die Unfähigkeit zu Schweigen („Zukleistern“) und das Dilemma des stupiden Verdoppelns der Bilder gesellten.
Da verblüfft dann doch Williams Musik für den „Jurassic Park“: Statt des erwarteten handlungsverdoppelnden Dräuens erklang Optimistisches. Und auch bei der Absauforgie „Titanic“ scheint Filmmusik alles Unangenehme abzumildern und ins Großartige zu transzendieren. Beim nächsten Kinobesuch werde ich jedenfalls endlich mal genauer hinhören – auch das ein Erfolg des Konzerts.
Steffen Drabek, ein Bratscher für den Dirigieren eigentlich nur Nebenjob ist, machte auf dem Podium eine klasse Figur. Zackige Tempi und weit ausschwingende Armbewegungen erzeugten Kraft auch da, wo Sentimentalität drohte. Kongenial das Orchester. So trampelte das Publikum wie die Dinos im Jurassic Park. ,Unerlaubtes' Geklatsche zwischen den Sätzen einer Suite zeigte: Hier wird tatsächlich ein neues, junges Publikum abgefangen. Ein wirklich guter Weg. Die Münchner Sinfoniker verdienen viel Geld durch das Einspielen von Filmscores. So stammt die Musik von „Das Schweigen der Lämmer“ zu weiten Teilen von Münchens drittbestem Orchester, erzählt Drabek. Eine Option, die er für Bremen nicht prinzipiell ausschließen würde. bk
Weitere Aufführungen: 30. März um 20 Uhr in der Glocke (Bremen) sowie 3. April um 20 Uhr im Kleinen Haus (Delmenhorst)
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