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Auf Schulen kein Verlass

Unterrichtsausfall ist ein allgegenwärtiges Problem an deutschen Schulen. Die Kultusbürokratie versagt – trotz professioneller Springer und netter Kollegen

Unterrichtsausfall ist bundesweit ein Dauerbrenner. Spätestens seit in Hessen der CDU-Kandidat Roland Koch (auch) mit seiner spektakulären „Unterrichtsgarantie“ eine Wahl gewann, haben das alle gemerkt. In Nordrhein-Westfalen gehen zurzeit alle Parteien mit dem Versprechen auf eine verlässliche Schule auf Stimmenfang. (Siehe Kasten)

In Hessen zeigte sich auch, wie leicht die WählerInnen enttäuscht werden. Von den 2.000 versprochenen Stellen sind ein Jahr nach dem Wahlsieg erst 1.400 geschaffen worden. Vielleicht trompetet Kultusministerin Karin Wolff deswegen unverdrossen, dass Unterricht „weiterhin“ oberste Priorität habe.

Nur die wenigsten Länder führen offiziell Statistik über nicht erteilte Stunden. Unterrichtsausfall wird schöngeredet – getreu dem Motto „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf“. Laut Umfrage sind zum Beispiel von den 34.000 Lehrerinnen und Lehrern in Berlin mehr als 1.000 dauerkrank. Der Stundenausfall wird auf 10 Prozent geschätzt. Baden-Württemberg hat gerade 7,3 Prozent ausgefallener Lehrerstunden gezählt. Veröffentlicht wurden freilich schmeichelhafte 3,6 Prozent ausgefallener Schulstunden – dank zusammengelegter Klassen oder Vertretungen.

Die Gewerkschaft Bildung und Erziehung (GEW) sieht in den lahmen Maßnahmen gegen den Unterrichtsausfall „eine gezielte Politik gegen die junge Generation“. Die GEW schätzt den Unterrichtsausfall bundesweit auf zwei bis sechs Prozent – meist krankheitsbedingt. Dazu tragen vor allem die (psychische) Belastung der Pädagogen und das hohe Durchschnittsalter der Lehrerkollegien bei. Der Spruch „Mein jüngster Lehrer feiert heute seinen 50. Geburtstag“ ist an vielen Schulen bittere Wahrheit.

Fakt ist: Es fehlen flexible Modelle und personelle Kapazitäten, um kurzfristige Ausfälle abzufangen. Keines der Mittel der Schulverwaltung – seien es Springer, Lehrerüberhang oder der nette Kollege aus dem Lehrerzimmer – wirkt gegen Unterrichtsausfall. Schule ist bürokratisch – und behäbig.

Der Stempel „Konnte nicht erteilt werden“ erhält im Zeugnis so eine weit reichende Bedeutung. Unterrichtsausfall bleibt nicht ohne Folgen: Immer mehr Eltern legen die Ausbildung ihrer Kinder in private Hände. Privatschulen verzeichnen mehr Zulauf, Nachhilfeinstitute sprießen wie Pilze aus dem Boden. Sie verdienen sich an den Mängeln des Schulsystems goldene Nasen: Rund 1,8 Milliarden Mark werden bundesweit für Nachhilfe ausgegeben. ANDREA BEHNKE

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