: Abschied von einer Idee
Wie IG-Metall-Chef Klaus Zwickel den Glauben an sein Rentenkonzept verlor und jetzt versucht, den Tarifkompromiss als Erfolg auszugeben
BERLIN taz ■ Es dauerte nur wenige Stunden, dann war sein steifes Beharren verflogen. Am Montag noch wollte Klaus Zwickel seine Gewerkschafter in den Streik für die volle Rente mit 60 schicken. Einen Tag später, die Tarifparteien in Nordrhein-Westfalen haben sich kurz zuvor auf eine bessere Altersteilzeit geeinigt, gilt die lang gepflegte Kampfeslust nichts mehr. Dies sei „insgesamt ein gutes Ergebnis“, freut sich Zwickel. Es solle von allen Tarifbezirken übernommen werden. Seit gestern Mittag schweigt die IG Metall vornehm zum Thema Streik. „Wir sind doch keine Systemfetischisten, wir haben doch auch so unser Ziel erreicht“, erklärt Zwickels Chefstratege Klaus Lang. Im Nachhinein, scheint es, darf man nichts von dem ernst nehmen, worum mehr als 14 Monate hart gerungen wurde.
Am Anfang hatte Zwickel eine Vision. Bundesweit sind 3,2 Millionen Arbeitnehmer zwischen 55 und 60 Jahre alt, 700.000 älter als 60. Ginge nur jeder Dritte der 3,2 Millionen mit 60 in Rente, gäbe es Jobs für mehr als eine Million Erwerbslose, rechnete Zwickel vor. In einen Fonds sollten Arbeitgeber- und nehmer zu gleichen Teilen Geld einzahlen, um die Rentenabschläge der Frührentner zu kompensieren. Dieser Vorschlag brachte Wirtschaftsforscher, Arbeitgeber und auch Gewerkschafter auf die Palme: zu teuer und zu unrealistisch.
Zwar modifizierte Zwickel seine Idee, ließ sich aber im Kern nicht davon abbringen. Das Bündnis für Arbeit setzte er unter Dauerstress. Eine längerfristige Tarifpolitik sei nur möglich, wenn die Arbeitgeber „Beschäftigungsbrücken zwischen Alt und Jung“ bauen hülfen, ließ er noch vor acht Wochen wissen. Andernfalls drohe eine eisenharte Lohnrunde. Doch Zwickel hatte die ungeliebte Schwestergewerkschaft IG BCE unterschätzt. Vergangene Woche legten die Chemiearbeitnehmer einen moderaten Abschluss vor: zweijähriger Tarifvertrag, 2,1 Prozent Lohnerhöhung, verbesserte Altersteilzeit. Der Kanzler applaudierte und adelte den Abschluss zum Prototypen. Die IG Metall hatte verstanden. ANNETTE ROGALLA
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen