ein jahr kosovo-krieg: Der Tag: Dienstag, 30. März 1999
LANGE MINUTEN, KURZE STUNDEN
Die Szene wirkt gespenstisch: Vier lange Minuten stehen Gerhard Schröder und Jewgeni Primakow schweigend und mit versteinerten Mienen vor dem Kanzleramt. Die über hundert Reporter, Fotografen und Kameraleute würdigen sie keines Blickes, geschweige denn eines Wortes. Sechs hektische Stunden lang hat der russische Ministerpräsident zuvor mit Milošević in Belgrad verhandelt, um anschließend nach Bonn zu eilen. Aus Schröders Dienstzimmer ist er nach nur einer Stunde wieder draußen. Ergebnisse des Vermittlungsversuches: Keine. Endlich rollt Primakows Limousine vor, das shakehands mit dem Kanzler ist rein diplomatisch. Dann ist der Russe weg, und der Deutsche ruft Javier Solana an, um ihm zu sagen, dass es nichts zu sagen gibt. Nur dies: Wir bomben weiter. Ach ja, und noch was: Russland findet das UN-Waffenembargo gegen Jugoslawien „hinfällig“. Die slawischen Brüder sollen jetzt wieder ganz offiziös in den Genuss von Granaten, Gewehren und Geschossen aus Moskau kommen. Die brauchen die Mörder in Uniform unter ihnen, um „Staatsfeinde“ wie fünfjährige Kinder und siebzigjährige Greise zu bekämpfen. Wer kann, läuft um sein Leben. Auf der Flucht werden Minuten zu Stunden. har
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