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Zwei Welten im Kosovo

Die Wunden, die sich Serben und Albaner zugefügt haben, machen wirkliches Zusammenleben unmöglich

Aus PristinaERICH RATHFELDER

Jubelnd fielen sich die Menschen in die Arme, die Straßen verwandelten sich in Tanzflächen, rhythmisch hupten die Autofahrer. Jugendliche, auf der Ladefläche eines Lastwagens stehend, schwenkten albanische, US-amerikanische, britische und deutsche Fahnen. Immer wieder riefen die Menschen „Danke Nato, Danke Clinton“. Die albanische Bevölkerung Kosovos feierte am Abend des 24. März den Beginn des Bombenkrieges der Nato gegen die Bundesrepublik Jugoslawien als den Anfang vom Ende serbischer Unterdrückung.

Ganz anders reagierte die noch rund 90.000 Menschen zählende serbische Restbevölkerung im Kosovo. Nach dem Einmarsch der Nato-Truppen lebt sie in 13 Enklaven – die größte in Kosovska Mitrovica –, die 16 Prozent der Fläche des Kosovo ausmachen. Die Wut der serbischen Bevölkerung ist zwar generell abgeklungen; sie weiß inzwischen zu schätzen, dass KFOR-Truppen und internationale Polizei die Enklaven gegen Übergriffe sichern. Weiterhin sind aber radikale Kräfte aktiv.

Die Wunden des Krieges klaffen noch tief. Es gibt zwei Erfahrungswelten im Kosovo. Trotz aller Bemühungen tun die Institutionen der internationalen Gemeinschaft, vor allem die UN-Mission im Kosovo (Unmik) unter Bernard Kouchner und die Kosovo-Friedenstruppen KFOR, nichts anderes, als die territoriale Trennung beider Bevölkerungsgruppen abzusichern. Die internationalen Vertreter haben die Geschichte des Konfliktes und die unterschiedlichen Erfahrungen der Menschen zu wenig beachtet. Auch deshalb haben sie manche Möglichkeit falsch eingeschätzt.

Im alten Jugoslawien fühlten sich die Albaner als Menschen zweiter Klasse. Das Autonomiestatut und die Verfassung von 1974 erleichterten jedoch ihre Lage. Die kommunistische Partei hatte das damals autonome Gebiet relativ fest im Griff. In der Partei waren beide Bevölkerungsgruppen vertreten, nationalistische Strömungen wurden auf beiden Seiten verfolgt, es gab Medien in beiden Sprachen, auch für die Minderheiten der beiden Volksgruppen Ashkali und Roma, der Bosnier, Kroaten, Türken und serbischen Muslime. Die serbische Minderheit hatte weiterhin große Macht, die Albaner (rund 87 Prozent der Bevölkerung) jedoch gewannen immer mehr Mitspracherecht.

Mit Belgrads antialbanischer Kampagne seit 1988, die die Aufhebung des Autonomiestatutes zum Ziel hatte, wurde dieses Gleichgewicht gestört. 1990 wurden die albanischen Arbeiter und Staatsangestellten aus den meisten Betrieben geworfen, viele verließen auch freiwillig ihre Jobs. Die so entstandene Apartheidsituation vertiefte die Gräben – hunderttausende Albaner emigrierten oder gründeten eigene Firmen, gingen in den passiven Widerstand und erkannten den serbischen Staat nicht mehr an. Die Serben Kosovos übernahmen die frei werdenden Stellen in Staatsfirmen und im Regierungsapparat.

Danach gab es keine Brücken mehr. Nachdem bei den Bosnien-Verhandlungen in Dayton das Problem Kosovo ausgeklammert worden war, radikalisierten sich die Albaner. Die UÇK entstand. Entgegen der vorherrschenden Meinung in Deutschland begannen Krieg und Zerstörung im Kosovo nicht erst 1999, sondern schon 1998. Die serbischen Sicherheitskräfte versuchten die UÇK zu schlagen und gingen dabei brutal gegen die Zivilbevölkerung vor. Mehrere hundert Dörfer wurden zerstört, die Grenzregionen nach Albanien und Makedonien wurden von Albanern „gesäubert“, es kam seit Februar 1998 zu Massakern. Unterschiedliche Schätzungen gehen von 200.000 bis 500.000 internen Flüchtlingen aus.

Obwohl sich die am 24. März beginnenden Angriffe der Nato zunächst auf militärische Ziele beschränkten, wurden die Bombardierungen als Angriff gegen alle Serben aufgefasst. Die Wut war groß, es kam zu Ausbrüchen der Gewalt gegen die Albaner. Flüchtlinge berichteten später, wie die serbischen Polizisten, Freischärler und die Männer der Spezialtruppen des Innenministeriums bei den Vertreibungsaktionen immer wieder ausriefen: „Ihr habt die Nato gerufen, kann die Nato euch jetzt schützen?“ Es kam zu unbeschreiblichen Szenen, zu Racheakten, Morden, Überfällen, Raub, zu Massakern vor allem in den Dörfern. Unvergessen sind die Bilder der langen Trecks, von den Zehntausenden, die sich an den Grenzübergängen nach Makedonien stauten und tagelang in Regen und Kälte, verfolgt von ständiger Angst vor Übergriffen, ausharren mussten. Die Albaner nahmen diese Vertreibung erstaunlich gelassen hin. Die serbischen Racheakte kamen ihnen „natürlich“ vor. Mit der „Nato auf unserer Seite“ fühlten sie sich trotz des Elends stark. Selbst die überlebenden Opfer eines Flüchtlingstrecks, der im Mai bei Prizren versehentlich von Nato-Flugzeugen angegriffen wurde, entschuldigten die Nato.

Nachdem die jugoslawischen Truppen – geschlossen und diszipliniert – aus dem Kosovo abgezogen waren und die 40.000 Mann der Nato-Truppen am 13. Juni in das Kosovo einrückten, fühlten sich die Albaner befreit. Mit den serbischen Truppen zog der größte Teil der damals rund 250.000 Menschen zählenden serbischen Bevölkerung – vor allem Polizisten und Staatsangestellte, die selbst aus Serbien stammten, auch viele Paramilitärs – nach Serbien ab. Die meisten einheimischen Serben flohen in die Enklaven und sind bis heute im Kosovo geblieben.

Die zurückkehrenden Albaner standen entsetzt vor Massengräbern und der Vernichtung ihres Eigentums. 10.000 bis 15.000 Menschen sollen nach Schätzungen unterschiedlicher Organisationen im Kosovo während des Bombenkrieges der Nato ermordet worden sein. Racheakte waren jetzt für viele Albaner genauso „natürlich“ wie zuvor die Übergriffe von Serben. Serbische Häuser brannten, serbische Menschen starben. Besonders tragisch ist die Vertreibung der Roma-Bevölkerung, die schon vor dem Krieg zwischen beiden Gruppen stand, jetzt aber von den Albanern pauschal der Kollaboration verdächtigt wurde.

Nach dem Einmarsch der Nato-Truppen und der Etablierung der UN-Verwaltung (Unmik) im Kosovo bemühten sich die internationalen Organisationen um Ausgleich. Es sollte wieder eine multikulturelle Gesellschaft entstehen. Doch das Ziel eines friedlichen Zusammenlebens musste bald aufgegeben werden.

Heute sprechen die internationalen Vertreter von Ko-Existenz, von einem geordneten Nebeneinander. Der Status des Kosovo ist mit der UN-Resolution 1244 weiterhin offen gehalten. Offiziell gehört Kosovo zu Serbien, faktisch ist es abgetrennt. Beide Seiten wollen ihre Positionen weiterhin durchsetzen, die Serben wollen die Rückintegration, die Albaner die völlige Unabhängigkeit.

Dazwischen gibt es nichts. Es herrscht kein Krieg mehr – der Frieden ist aber nicht in Sicht. Die KFOR-Truppen werden lange bleiben müssen.

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