: Eigenhässlich
Postsuff ahoi: Thomas Bischoff inszeniert WernerSchwabs „Volksvernichtung“ an der Volksbühne
Zu Werner Schwabs Lebzeiten hatten die Verhältnisse noch eine Ordnung. Zwar nannte der Dramatiker sie bereits 1992 unheilbar, aber immerhin herrschte in Österreich „ein vornehmer Alkoholismus statt Nationalsozialismus“. Für Schwab war das ein Endpunkt. Wo Utopien nichts als eine Vorform von Alkoholismus sind, wie es eine seiner Protagonistinnen überzeugend formuliert, besteht für den Postsuff kaum Hoffnung. Im Falle des für seinen Wodkakonsum berüchtigten Grazers stimmte das tragischerweise; er starb 36-jährig in der Silvesternacht 93/94. Der Staat der „nüchternen Sozialisten“, so seine dramatische Vision, würde sich auseinander dividieren und selbst auslöschen.
„Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos“ bildete 1991 den Abschluss von Schwabs „Fäkalientetralogie“ und sollte das erfolgreichste Stück des hyperproduktiven Dramatikers werden. Eine Hausgemeinschaft, ein „erbärmlicher Mietshauskörper“, steht hier für das Volk, in dem „kosmopolitischer Hass“ als „eigentliche Menschenbereitschaft“ hervortritt. Doch dieser Hass auf alles und jeden, den die sieben Figuren wie unbeholfen beschlagene Blöcke auf die Bühne spucken, ist eine fast rührende Missinterpretation der eigenen Dummheit und propagandagestützten Selbstverachtung. Der verkrüppelte Maler Hermann Wurm weiß wohl, dass seine „Eigenhässlichkeit“ daher rührt, dass seine Mutter ihn „mit dem zweiten Loch auf die Welt geschissen hat“; Mutti Wurm bestätigt, dass „in meinem Körper dein Vater mein Grab geschaufelt“ hat.
Witwe Grollfeuer hat es mit „Proletarismus“ und „teilzeitlicher Menschennettigkeit“ versucht, ist aber vor ihrem eigenen Werden gestorben. Am unkompliziertesten formuliert es Tochter Kovacic, deren „Tochterkörpermenschen“ Vater K. gerne mal auf seine „Väterlichkeit“ zieht: „Die Wirklichkeit ist in Wirklichkeit gar nicht so fesch.“
„Volksvernichtung“ ist ein großartiges Stück, ein sprachgewaltiger Koloss, dessen expressive Wort- und Syntaxschöpfungen – die als Schwabismus in die Literaturgeschichte eingingen – die Erschließung der Welt durch Sprache noch einmal neu beginnen. An der Volksbühne hat Thomas Bischoff das Stück inszeniert, und zwar gelungen. Bischoff, der eher für einen kühlen bis pathetischen Formalismus bekannt ist, mit dem er zuletzt an der Volksbühne den Pubertierenden aus Hans Henny Jahnns „Der gestohlene Gott“ alle Lebensgeister raubte, zeigt Schwabs Kunstsprachproletarier als lebendige tragische Wesen. Mit einer Komik, die man bei ihm nicht erwartet hat.
Bischoff hat sich auf den Text verlassen und den hervorragenden Schauspielern vertraut. Milan Peschel hinkt als verkrüppelter Künstler durchs Bild, schwankend seinen miserablen Platz in der Misere mit körpereigenem Missmut behauptend. Karin Neuhäuser brilliert als Mutter Wurm, in katholischer Verblendung auf einer „Lebensrichtigkeit“ beharrend, wo sie längst alle Ethik in der Jauchegrube beigesetzt hat und jede ihrer unterwürfigen Bewegungen „Vergeltung!“ brüllt.
Hans-Werner Leupelt, Susanne Sachße, Sabine Fengler und Cordelia Wege geben die Familie Kovacic überzeugend als Keimzelle des Staates, in der er untergehen muss. Und dann tritt Jennifer Minetti auf. Mit geradezu angeborener Kammerspiel-Grandezza, deren Souveränität die Umbenennung von Untermietern in Untermenschen unanfechtbar macht, vergiftet sie das Haus Österreich.
Ein wenig Text wurde gestrichen, ein stummer Engel und ein Amateurtod traten hinzu auf Uta Kalas Bühne, die nie Privatraum zeigt. Gereihte Holzstühle im ersten Teil deuten eine Kirche an, Eisenbetten im zweiten eine eheliche Kaserne, Tische im dritten vielleicht am ehesten ein Restaurant. Eines, in dem noch Platz ist. Besonders, nachdem die erste Generation Gäste tot vom Stuhl gekippt ist. So eine Volksvernichtung hat einen großen Appetit.
CHRISTIANE KÜHL
Nächste Vorstellungen: 1., 7. u. 27. 4. sowie 1. 5. jeweils 19.30 Uhr, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
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