: Manager müssen umlernen
Einwanderungsland Deutschland (4): Bisher ist die Green Card ein politischer Streit. Dabei sind vor allem die deutschen Manager gefordert. Sie müssen ihre kulturelle Ignoranz überwinden
von IAN WALSH
Das Beste an der Nachricht war noch der kleine Sprachwitz: „Statt der Green Card führen wir die Red-Green Card ein.“ Ansonsten ist die Euphorie über die geplanten Visumbestimmungen für Computerspezialisten aus Nicht-EU-Staaten zwar verständlich, aber verfrüht. Verständlich, weil man dadurch vielleicht den Personalengpass im Computerbereich beseitigen kann; verfrüht, weil es sich nicht nur um ein rein politisch zu lösendes Problem handelt. Es ist ganz wesentlich eine Managementaufgabe, auf die die deutschen Führungskräfte aber nur unzureichend vorbereitet sind. Denn sie stehen vor der Herausforderung, aktiv um die ausländischen Experten werben und sie vor allem integrieren zu müssen. Die Spezialisten kommen nicht von selbst, obwohl viele Deutsche sich dies gerne vorstellen.
Wie Ashwin Raman kürzlich hier zutreffend feststellte, gehen ausländische Computerexperten lieber in die USA als nach Deutschland (taz, 27.3.00). Im global business bröckelt das Arbeitsmarktmonopol des weißen Mannes im mittleren Alter und mit Deutsch als Muttersprache: Die multikulturelle Vielfalt und Konkurrenz ist schon Fakt.
Die deutschen Betriebe müssen sich an die Bedürfnisse der neuen Spezialistenklientel anpassen. Dies mag bedrohlich klingen. Vor allem aber ist es eine Riesenchance, die bisher nur wenige deutsche Unternehmen begriffen haben: Durch die multikulturelle Zusammenarbeit lassen sich neue Quellen der Kreativität und Innovation anzapfen.
Man braucht nur nach Kalifornien zu schauen: Laut einer Studie des Forschungsinstituts PPIC bilden chinesische und asiatische Immigranten in Silicon Valley eine Kernkomponente des dortigen Wachstumsmotors. Diese Immigranten betreiben fast 3.000 High-Tech-Unternehmen (ein Viertel der Gesamtzahl) mit über 58.000 Arbeitsplätzen und einem Umsatz von etwa 17 Milliarden Dollar. Zwischen 1995 und 1998 wurden 29 Prozent der neuen High-Tech-Firmen bzw. 1.194 Unternehmen von Indern und Chinesen gegründet.
Was müssen deutsche Manager tun, damit dynamische und talentierte Ausländer nicht nur hier arbeiten dürfen, sondern es auch wollen?
Wie gesagt: Sie müssen überhaupt erst einmal die Führungsaufgabe begreifen, die im interkulturellen Management steckt. Bisher versteht man darunter allenfalls ein Sammelsurium von Höflichkeitsriten: Dazu gehört etwa, dass man einem Araber die Schuhsohlen nicht zeigt, dass man japanischen Gesprächspartnern nicht auf die Schulter klopft oder dass „friend“ im Amerikanischen mit „Bekannter“ zu übersetzen ist. Aufgeschnappt hat man diese ausländischen Sitten in der Regel als Ferntourist. Und da die Deutschen bekanntlich Weltmeister im Reisen sind, so halten sie sich im multikulturellen Dialog für umfassend gebildet: Man war schon überall und weiß doch, wie die so sind.
Und wenn nicht, dann gibt es für entsandte Manager den Firmen-Knigge. So bekommen beispielsweise die Mitarbeiter eines Frankfurter Geldinstituts den wertvollen Tipp, dass es in der Londoner City dem deutschen Banker nicht zu empfehlen sei, eine Melone aufzusetzen oder unerlaubt die Krawatte eines britischen Regiments zu tragen.
Für ein exportzentriertes Geschäftsverständnis mag das gereicht haben; für das globale Geschäft, in dem man um Märkte, Kapital und zunehmend auch um fähige Mitarbeiter konkurriert, ist diese Mentalität eher geschäftsschädigend.
Umgekehrt lässt ein geschickter Umgang mit der kulturellen Verschiedenheit die Kassen klingeln. Warum sonst haben 70 Prozent der 500 größten US-Unternehmen diversity initiatives (Verschiedenheitsinitiativen) entwickelt – also Strategien für den Umgang mit Unterschieden jeglicher Art, ob es Behinderungen oder Hauptfarbe, Geschlecht oder Herkunft, sexuelle Orientierung oder Alter sind?
Vielfalt steigert nämlich die Produktivität und den Gewinn. Und zwar nicht nur, weil sich dadurch dringend gesuchte Spezialisten aus dem Ausland gewinnen lassen. Genauso wichtig ist, dass nur eine bunte Belegschaft auf die breite Palette der Kundenwünsche eingehen kann. Die BankBoston Corp. zum Beispiel betrachtet Verschiedenheit als einen „Schlüsselvorteil im Geschäft“ und will die Stärke eines „inklusiven Umfeldes“ nutzen, um „die Erwartungen der Kunden zu übertreffen“. Kraft Foods will eine Belegschaft schaffen, die „die Verschiedenheit unserer Kunden widerspiegelt“, für Microsoft „bereichert die Verschiedenheit unsere Leistung und unsere Produkte“.
Auch IBM, ein Unternehmen, das bis zum Austausch des Managements 1993 eher durch Lernunfähigkeit glänzte, hat es kapiert. Allein 1995 startete IBM acht Topmanagement-gesteuerte Initiativen für Frauen, Männer (!), Schwarze, Hispano-Amerikaner, Asiaten, Indianer, Schwule und Behinderte. Dabei wurden zum Beispiel die Fragen angegangen, ob sich diese unterschiedlichen Gruppen respektiert fühlen oder wie man zusammen die Produktivität erhöhen könnte.
Wichtig für das Diversity-Training ist, dass man die interkulturellen Unterschiede nicht bewertet, sondern verstehen und akzeptieren lernt. Manches ist augenfällig anders – etwa die Stellung der Frau im Islam –, anderes subtiler. Wie fundamental zum Beispiel moralische Kategorien voneinander abweichen können, zeigt ein kleines Gedankenexperiment. Angenommen, vier Leute sitzen in einem sinkenden Boot. Nur einer kann schwimmen: der Ehemann. Mit im Boot sind noch seine Mutter, seine Ehefrau, sein Kind. Doch nur eine Person kann er retten. Wen sollte er auswählen? Während Europäer und US-Amerikaner entweder für die Ehefrau oder die Tochter optieren, ist für Asiaten der Fall ganz klar: Er müsse die Mutter retten, denn nur sie sei nicht ersetzbar.
Sich diesen kulturellen Unterschieden auch nur gedanklich zu nähern – so weit ist Deutschland allerdings noch lange nicht. Es wird immer noch von den Very Old Incompetent White Guys (Tom Peters) dominiert; die Chancen der Verschiedenheit werden hier zu wenig genutzt. Als ich neulich einem Personalleiter vorschlug, ältere Bedenkenträger in Führungspositionen durch drei motivierte junge Nachwuchskräfte zu ersetzen, die mir positiv aufgefallen waren, lautete sein Hauptargument dagegen: „Aber nur einer davon ist Deutscher!“
Trotz grüner Karte ist es noch ein langer Weg, bis auch in Bayern – nicht nur in Kalifornien – 25 Prozent der neu gegründeten Firmen von Chinesen oder Indern geführt werden. Schade, denn das wäre eine Alternative zum lang andauernden Export von Arbeitsplätzen. So aber werden die neuen Betriebe im Ausland entstehen.
Ein erster Schritt zum interkulturellen Management wäre, es nicht mehr nur als allgemeine Umgangsformen zu verstehen, sondern als originäre Führungsaufgabe, als Steuerung eines kontinuierlichen Entwicklungsprozesses, der das gesamte Unternehmen umfasst. Erst wenn schlüssige Strategien im Sinne der diversity initiatives bestehen, kann man von der Lockerung der Visumpflicht profitieren.
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