: „Prävention wird zum Politikersatz“
Die Politikwissenschaftlerin Christine Hohmeyer befürchtet, dass sich die Sozialarbeit vor den Karren der Polizei spannen lässt und diese Vorfeldüberwachung und Präsenz in der Jugendszene als Prävention ausgibt
taz: Sie kritisieren die Kooperation von Sozialarbeit und Polizei. Wo sind die Gefahren?
Christine Hohmeyer: Die Gefahr ist, dass sich die Sozialarbeit allzu weit auf den Kriminalitätsdiskurs einlässt und auf polizeiliche Zwecke reduziert wird.
Besonders kritisch sehen Sie die so genannte Präventionsarbeit, mit der Sozialarbeiter, Polizisten, Politik und Verwaltung gemeinsam Straftaten verhindern wollen.Warum?
Prävention ist ein Modewort, das sehr ungenau ist. Die Polizei hat nicht viele Möglichkeiten, wirklich präventiv tätig zu werden. Sie kann beraten und aufklären, und dagegen ist nichts einzuwenden. Sie versucht aber auch, Vorfeldüberwachung und Präsenz in der Jugendszene als Prävention auszugeben. Und hier ist die Grenze, die deutlich gemacht werden muss. Generell kann man sagen, dass polizeiliche und pädagogische Prävention immer mehr zum Politikersatz wird. Sie wird da eingesetzt, wo die Politik – etwa in der Stadtplanung oder in der Beschäftigungspolitik – versagt hat.
In Berlin gibt es Präventionsräte, es gab in Friedrichshain und Neukölln Modellprojekte zur kiezorientierten Gewalt- und Kriminalitätsprävention, auch das Quartiersmanagement will Präventionsarbeit machen. Was sind die konkreten Erfahrungen?
Man muss das vor dem Gesamthintergrund sehen. Auf der einen Seite werden Jugendhilfeeinrichtungen abgebaut, auf der anderen Seite kriminalpräventive Räte dazu genutzt, kurzfristige Angebote zu machen. Auf die Dauer wird die Sozialarbeit damit projektisiert, also auf kurzfristige Angebote reduziert. Sie muss aber langfristige, verlässliche Unterstützung anbieten.
Ein Dialog zwischen den beiden Berufsgruppen und auch eine punktuelle Zusammenarbeit lehnen Sie aber nicht ab?
Nein, ein Dialog ist sinnvoll. Dabei muss aber klar geregelt werden, wer welche Aufgaben hat, wie die Aufgaben des anderen aussehen und wo genau die Grenzen sind. Die Sozialarbeit kann Beratungsangebote der Polizei nutzen, aber gerade was Prävention angeht, muss sie ihre eigenen Aufgaben wahren. Sie muss sich immer noch in erster Linie an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen orientieren und den Abbau von Benachteiligung und die Förderung von Kindern und Jugendlichen im Blick haben. Die Polizei hat dagegen die öffentliche Sicherheit zu wahren, Kinder und Jugendliche geraten ihr in allererster Linie als Störer in den Blick.
Auf der Tagung ist Ihnen vorgeworfen worden, das alles sei eine Siebziger-Jahre-Position. Was meinen Sie dazu?
Diese Kritik ist völlig inhaltsleer. Ein vernünftiges Argument wird mit dem Alter doch nicht schlecht. Sollte damit aber gemeint sein, dass ich grundsätzlich kritisch denke, dann bin ich damit absolut einverstanden.
Interview SABINE AM ORDE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen