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Soziales Echtzeit-Experiment

Die Sehnsucht nach linken Inhalten ist groß, mit der gemeinsamen Praxis aber hapert es mehr denn je: Die neueste Ausgabe der Zeitschrift „Die Beute“ ist ein „begehbares Heft“ in Form einer Ausstellung und einer Reihe von Diskussionen und Vorträgen im Kunsthaus Bethanienvon TOBIAS RAPP

Die Beute ist in der Krise. 1994 gegründet als eine Spätfolge der Wohlfahrtsausschüsse, versuchte die Zeitschrift, Neomarxismus, Subkultur und außerparlamentarischen politischen Aktivismus in ein Heft zu bekommen. Jetzt hat sie Probleme. Finanziell, personell und inhaltlich. Dass ein bestimmter Titel nicht mehr gewünscht wird, kann man als Marktphänomen begreifen oder als Reflexion bestimmter gesellschaftlicher Entwicklungen. Oder als beides. Das hilft einem allerdings nicht weiter. Vor zwei Jahren war die Zeitschrift schon von einem Dreimonatsrhythmus zum halbjährlichen Erscheinen übergegangen. Was tun? Den Laden verkaufen? So wie die Spex? Weitermachen? Zum Kursbuch werden?

Die Herausgeber entschieden sich für etwas anderes: das begehbare Heft. Die aktuelle Ausgabe der Beute wird nicht gedruckt, sondern als Ausstellung, Vortrags- und Diskussionsreihe im Kunstamt Kreuzberg veranstaltet. Die Illustrationen, die sonst auf den Seiten stehen würden, hängen an den Wänden.

Dies ist ein Experiment. Anders als etwa der Zeitschrift Spex, die ihre Krise und Ratlosigkeit in dieser Art nie zur Diskussion stellte, geht es der Beute bei ihrer begehbaren Ausgabe darum, herauszufinden, ob sie überhaupt noch jemand braucht. „Produktivität und Existenz“ ist das Überthema. Kann unsere Existenz noch irgendetwas produktiv machen? Braucht uns noch jemand? Ist dieser Ort noch wichtig? Stehen hier noch Sachen, die woanders tatsächlich keinen Platz finden? Oder läuft es am Ende nur darauf hinaus, dass hier ein Steinbruch für andere Medien betrieben wird? Würde ohne die Beute was fehlen?

Zumindest in der Ausstellung treffen die unterschiedlichsten Werke aufeinander. Da gibt es Big Names wie Daniel Richter, Albert Oehlen, Jonathan Meese, eine ganze Reihe weniger bekannter Künstler, dazu eine Sektion aus Santiago de Chile. All das ist ein wenig unvermittelt. Aber es soll ja auch weniger als Ausstellung funktionieren und mehr als Rahmen dieser temporär autonomen Zone Kunstamt Kreuzberg, Abteilung Polit-Kunst-Subkultur-Crossover. Genau dieses Phantom hatte die Zeitschrift Beute immer aufgerufen, und dieses Phantom hatte auch so unterschiedlich Leute wie Roberto Ohrt, den ehemaligen Spex-Redakteur Mark Terkessidis, den Tocotronic-Sänger Dirk von Lotzow, Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen, Sabeth Buchmann von b-books und die De:bug-Mitherausgeberin Mercedes Bunz am Samstag zur großen Eröffnungspodiumsdiskussion gerufen, nebst einem zahlreich erschienenen Publikum, dessen einzige Gemeinsamkeit darin bestand, irgendwelche Hoffnungen auf ebenjenes Phantom zu setzen.

Von Antifas über Plattenverkäufer bis zu GermanistikstudentInnen. Es war rappelvoll, und das Verlangen nach linkem Content sprach aus den Gesichtern. Doch das einzige, was die auf dem Podium Sitzenden verband, war die Frage, was man dort eigentlich verloren habe. Eine denkbar schlechte Voraussetzung für eine Debatte über „Mainstream/Underground – Paradigmenwechsel in den Neunzigern. Organisierung, Öffentlichkeit, Subkultur – linke Praxis unter den aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen?“.

Eigentlich war alles da, die Organisation hatte geklappt, die Öffentlichkeit war erschienen, alle Menschen, die ihr Leben in irgendeiner Art der subkulturellen Praxis verschrieben haben, aber dann passierte – nichts. Sogar die Inhalte waren da, denn irgendwie ging es ja auch um Organisation, Sprache, Theorie, Kunst, Unabhängigkeit, Geschichte.

Wer macht was, wo geht alles hin, und wo kommt alles her? Doch das stand nie im Blickpunkt, nicht zuletzt, weil die Diskutanten auf dem Podium sich einfach nichts zu sagen hatten. Das einzige, was alle auf dem Podium verband, war ausgerechnet die Spex und die mehrfach aufblitzende Vorstellung, der Verkauf dieserZeitschrift habe irgendetwas zu bedeuten. Genaueres kam dann aber doch nicht heraus. Und das lag nicht am Moderator Andreas Fanizadeh, der sich mühte, die Diskussion wenigstens ab und zu an einem Punkt zu konzentrieren und von dort aus weiterzumachen. Nicht nur der ID-Verlag hat einige Rechnungen offen, auch alle Beteiligten schienen sich nicht wirklich grün zu sein.

Doch so weit, dass alle Versammelten das Ballhaus als WG-Tisch begriffen, wollte dann allerdings niemand gehen. Irgendwie ging es ja doch um Inhalte. Wer welchen Text aus welchen Gründen nicht veröffentlichen durfte. Wer mit wem ins Bett ging und wer damit betrogen wurde. Wo es welche Missverständnisse gegeben hatte und wie man sie vielleicht ausräumen könnte – all diese Geschichten waren kein Thema. Auch nicht, welche Hierarchien es denn konkret gegeben habe. Im Grunde funktionierte die Veranstaltung genau wie beabsichtigt: als soziales Echtzeit-Experiment. Auch wenn nachher, während dessen und vorher alle Welt die Nase rümpfte und sich die Sinnfrage stellte. Niemand hat sich etwas zu sagen. Jeder bosselt an seinen kleinen Details herum, es gibt kein Bedürfnis nach großartigen Manifesten und Zusammenschlüssen, niemand hat dazu Zeit und Lust.

Trotzdem fänden es alle prima, wenn die anderen etwas in der Art auf die Reihe kriegen würden. So ist die Lage. Das kann man auch als Zeichen der Stärke sehen, wenn man will.

„Produktivität und Existenz“: Ausstellung und Vorträge bis zum 13. Mai im Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz, Kreuzberg

Hinweis: Keiner hat etwas zu sagen. Jeder bosselt an seinen Details herum, für Manifeste hat niemand Zeit und Lust.

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