DER ÖSTERREICH-BOYKOTT DER EUROPÄISCHEN UNION GERÄT INS WANKEN
: Europäischer Eiertanz

Seien wir doch mal ganz ehrlich: Fast alle haben wir die zornige Erklärung der vierzehn EU-Staaten zur Regierungsbildung in Österreich vor zwei Monaten ziemlich enthusiastisch aufgenommen. Endlich ein klares Wort von „denen da oben“, ohne diplomatisches Geschnörkel. Und so eindeutig formuliert, dass alle Hintertürchen fest verriegelt sind.

Inzwischen hoffen wohl viele im Stillen darauf, dass sich vielleicht doch demnächst irgendwo ein Hintertürchen auftun möge. Die dänische Regierung verlangt seit gestern ganz offen, eine Tür einzutreten und zu Wien normale diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Nun rächt sich, dass die Erklärung der vierzehn in einem Rausch der Rechtschaffenheit zustande kam. Die makabre Parallele zum Balkan-Debakel drängt sich auf: Auch da zeigte sich, dass an die Möglichkeit, Milošević könnte sich von moralisch motivierten Bombenangriffen unbeeindruckt zeigen, keiner gedacht hatte.

Seit zwei Monaten müssen sich die Diplomaten immer neue protokollarische Finten ausdenken, die Distanz zu Österreich symbolisieren, ohne das tägliche EU-Geschäft völlig zu lähmen. Der Eiertanz ums Familienfoto beim Beschäftigungsgipfel in Lissabon war das vorläufig letzte Beispiel. Man mag den Rutschpartien auf diplomatischem Parkett noch unterhaltsame Aspekte abgewinnen. Die Zerreißprobe, die sich innerhalb der EU abzeichnet, könnte schnell für ernste Mienen sorgen.Während Belgien und Frankreich ganz konsequent am einmal beschlossenen Kurs festhalten, haben Finnland und nun auch Dänemark energisch gefordert, den Boykott zu beenden. Dafür hat die EU nur noch drei Monate Zeit. Denn unter französischer Präsidentschaft gehen die Chancen für einen Kurswechsel in der Österreich-Politik gegen null.

Das bisher gültige Erklärmuster passt nicht mehr: In Dänemark gibt es ein ähnlich starkes rechtsextremes Wählerpotenzial wie in Frankreich und Belgien. Aber während sich die dortigen bürgerlichen Parteien aus Ansteckungsangst an die Spitze der Boykottbewegung stellten, verwahren sich die Dänen aus Prinzip dagegen, dass sich die EU in innere Angelegenheiten einmischt. Der ausgeprägte dänische Sinn für Unabhängigkeit reagiert auf Gängelei mit Widerwillen. Kenner der Szene fürchten, die Österreich-Politik der EU könnte den dänischen Volksentscheid zur Währungsunion am 28. September negativ beeinflussen. Klar, wir lieben Politiker, wenn sie sich ganz ohne taktische Hintergedanken für die gute und gerechte Sache einsetzen. Aber ein paar vorausschauende Gedanken über die Frage, wie sie aus der guten und gerechten Sache mit Anstand wieder rauskommen, hätten der moralischen Entrüstung ganz sicher keinen Abbruch getan. DANIELA WEINGÄRTNER