: „Wir sind hier nicht in Hamburg, Dirk“
■ Wenn das „th“ zum Thema wird: Trotz allenfalls rudimentärer Sprachkenntnisse haben „Tocotronic“ ihr Album „K.O.O.K.“ noch mal auf Englisch eingespielt
Auf den ersten Blick hat sich nicht viel verändert. Das Albumcover ist das gleiche, und auch der Titel unterscheidet sich nicht vom Original. Trotzdem betreten Tocotronic mit ihrer kürzlich erschienenen Neuauflage von K.O.O.K. Neuland: Sie singen auf Englisch.
Wollen die drei Hamburger nach Deutschland nun auch den amerikanischen Musikmarkt erobern? Sänger und Texter Dirk von Lowtzow winkt ab: Natürlich erhoffe man sich internationalen Erfolg, vor allem habe man mit der Neuaufnahme von K.O.O.K. aber endlich mit einem alten Klischee aufräumen wollen. Seit ihrer Gründung werden Tocotronic immer wieder auf ihre deutschsprachigen Texte angesprochen: „Die Leute messen der Tatsache, dass wir in unserer Muttersprache singen, viel zu viel Bedeutung bei.“ Deutschsprachige Texte als Plädoyer für Authenzität und Ehrlichkeit? Die Diskussion ärgert den Sänger, denn im Grunde sei es ihnen „verdammt gleichgültig“, in welcher Sprache gesungen werde.
Tocotronic auf Englisch – geht das denn überhaupt? Was einst als fixe Idee der Plattenfirma begann, wurde jetzt zum „verrückten Experiment“. Größtes Problem dabei: Von Lowtzow verfügt nach eigener Einschätzung allenfalls über „rudimentäre Englischkenntnisse aus Schulzeiten“. Wer nun aber schadenfroh auf unfreiwillige Komik und haufenweise Stilblüten spekuliert, wird auf K.O.O.K. bitter enttäuscht. Ein guter Freund aus den Vereinigten Staaten kümmerte sich um die sinngemäße Übersetzung der Texte, und auch im Aufnahmestudio gab er Hilfestellung. Als Coach wies er den Sänger gnadenlos auf jedes missratene „th“ hin, und ab und zu setzte es auch härtere Kritik („Jetzt sing doch nicht so kanadisch, Dirk“).
Das Ergebnis kann sich hören lassen. Von Lowtzows Stimme klingt für einen deutschen Sänger erstaunlich akzentfrei, und die Texte sind treffend formuliert und doch nah am Orginal gehalten. Leider blieb bei der Übersetzung die Mehrzahl der Reime auf der Strecke, und einzelne Wortspiele verlieren in der englischen Fassung an Witz und Verständlichkeit. Manche Lieder büßen dadurch an Reiz ein, und bei „Beyond the channel“ tut es fast schon weh.
Stücke wie „The new strangeness“ und „Boundaries of good taste“ hingegen entschädigen für all das. Hier fügen sich die übersetzten Zeilen wie selbstverständlich zu neuen Reimen zusammen. „You don't need much of it to make you feel fine, we kiss in the summer shine“ – Tocotronic funktionieren auch auf Englisch. Fast könnte man meinen, die drei Hamburger hätten den Weltschmerz schon immer auf Englisch besungen. Dass Tocotronic aus Hamburg und nicht aus Seattle kommen, gerät zum unwichtigen Detail am Rande.
„And before the morning breaks, many voices will be raised“ – Alles in allem scheint das Experiment K.O.O.K. gelungen. An manchen Stellen klingt die Platte etwas holprig, manchmal auch ziemlich schräg – auf jeden Fall aber absolut hörenswert. Sebastian Leber
Die englische Version von K.O.O.K.ist hierzulande nur per E-Mail unter Spezialversand§lado.de erhältlich
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