: Das Leben der Bohème
Spezialist für Frauenschicksale und Glamour: Der Pariser Olivier Tambosi inszeniert La Bohème an der Staatsoper endlich neu ■ Von Dagmar Penzlin
Ein bisschen schillernd muss es schon sein. Ob Rockstar oder Schauspieler, ob Literat oder Maler – viele Künstler pflegen nach wie vor dieses antibürgerliche Glamour-Image. Das Klischee lebt. Auf der Opernbühne seit über 100 Jahren dank Giacomo Puccinis Oper La Bohème.
Bei ihrer Uraufführung am 1. Februar 1896 in Turin unter der musikalischen Leitung von Arturo Toscanini reagierte das Publikum wenig begeistert und die Presse fast ohne Ausnahme ablehnend. Doch schon kurze Zeit später wendete sich das Blatt, der Siegeszug des Werks war nicht mehr aufzuhalten und begründete den Weltruhm des Komponisten. Heute gehört Puccinis Bohème zu den Publikumsmagneten schlechthin. Man könnte fast meinen, ein Opernhaus ohne La Bohème im Repertoire sei kein Opernhaus.
Nicht zuletzt deshalb benötigt auch die Staatsoper, wo von 1967 bis 1997 die im besten Sinne traditionelle Inszenierung von Joachim Hess auf dem Spielplan stand, dringend eine Neuinszenierung. Der Regisseur Olivier Tambosi hat zusammen mit dem Philharmonischen Staatsorchester die Ehre – und spürt sicherlich auch den Druck, eine möglichst mehrere Jahrzehnte gültige Interpretation abzuliefern. Bei seinem Hamburger Regie-Debüt hatte sich Tambosi mit seiner Jenufa-Inszenierung als Spezialist für Frauenschicksale empfohlen, bevor er mit Lucia di Lammermoor völligen Schiffbruch erlitt. Jetzt hat der gebürtige Pariser Gelegenheit, die Hoffnungen zu erfüllen, die er bei seinem Debüt weckte, denn auch Puccinis Bohème erzählt von dem Schicksal einer Frau: Mimi.
Die schwindsüchtige Blumenstickerin schwebt in das Leben von Dichter Rodolfo, eigentlich nur um ihn nach Licht für ihre Kerze zu fragen. Doch der Zugwind löscht die Kerzen, und im Mondschein kommen sich die beiden näher. Es ist Liebe auf die erste Berührung: „Wie eiskalt ist dies Händchen“, singt Rodolfo, und keine Viertelstunde später bejubeln die beiden als Paar die Liebe. Das ist Oper! Die Szene dieser ersten Begegnung öffnet in ihrer gestaffelten musikalischen Dramaturgie die Ohren der Zuschauer.
Und da seine Musik zum Süchtigwerden schön ist, verzeiht man dem Komponisten und seinen Librettisten die allzu schematische Konstruktion der Frauenfiguren. Als Ausgangsbasis diente Puccinis Textdichtern Giuseppe Giacosa und Luigi Illica der Roman Scènes de la Vie de Bohème von Henri Murger. Von dieser lose gefügten Studie aus dem Pariser Bohème-Milieu ließen sie sich inspirieren und formten aus zwei der Frauenfiguren eine einzige, indem sie die dunklen Charakterzüge von Murgers Mimi tilgten und diese Figur mit den fragilen Eigenschaften einer anderen verschmolzen. Gemäß des Vorworts der Librettisten könnte dieses Aus-zwei-mach-eine-Konstrukt auch den Namen „Ideal“ tragen. Aus heutiger Sicht steht Puccinis Mimi ganz in der Tradition seiner zerbrechlichen Heldinnen, da ihre Schwindsucht die Liebe zu Rodolfo verdunkelt.
Neben die mehr lyrischen Liebesmomente treten in Puccinis Oper atmosphärisch dichte Milieuskizzen sowie die komödiantischen Szenen der Künstlerfreunde unter sich. So amüsant die Späße der Bohemiens auch sein mögen, von der eigentlichen gesellschaftlichen Wirkung der historischen Bohème ist nichts zu spüren. Fein säuberlich hat Puccinis Librettistenduo diesen Aspekt eliminiert und sein entpolitisiertes Künstleridyll geschaffen. Gespannt darf man nun sein, was Regisseur Tambosi und sein Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann heute über die Pariser Künstlerclique zu erzählen wissen. Ist eine Repolitisierung möglich oder überhaupt wünschenswert? Schließlich hieße das, Klischees zu entlarven.
Premieren: So, 9., 18 Uhr + Mi, 12. April, 19.30 Uhr, Staatsoper
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen