: Lehrer gegen Unterricht
Tausende Lehrer demonstrierten vor dem Roten Rathaus gegen die Pläne von Schulsenator Böger. Eine Personalversammlung fand wegen knapper Kassen unter freiem Himmel statt
von SILVIA LANGE
„Schluss mit lustig, keine Stunde mehr!“, forderten gestern rund zehntausend LehrerInnen vor dem Roten Rathaus. Die Organisatoren der Demonstration, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sprachen von 20.000 Menschen, die Polizei von 8.500. Die Lehrer demonstrierten gegen die Pläne von Schulsenator Klaus Böger (SPD), nach denen Lehrer ab September eine Stunde mehr pro Woche unterrichten sollen. Davon hält die GEW nichts: „Herr Böger, ziehen Sie die Konsequenzen Ihrer verfehlten Politik und treten Sie zurück!“, forderte Ulrich Thöne, Vorsitzender der GEW Berlin. Die Demonstranten jubelten und riefen: „Böger weg!“
Immer wieder warfen sie dem Senat „Vertrauensbruch“ vor. Vor zwei Jahren haben sich die Lehrer mit dem Senat auf Arbeitszeitkonten geeinigt. Danach arbeiten allgemein bildende Lehrer eine Stunde und Berufsschullehrer zwei Stunden mehr pro Woche. Diese Stunden sollen in ein paar Jahren durch Freizeit ausgeglichen werden. Jetzt fürchten die Lehrer, dass die Mehrarbeit mit ihrem angesammelten Stundenkonto verrechnet wird.
Senatsschulsprecher Thomas John versucht die Bedenken zu zerstreuen: „Die Ansprüche, die auf den Arbeitszeitkonten angesammelt werden, werden vollständig erstattet.“ De facto werden jedoch die meisten Berufsschullehrer auch nach der neuen Regelung nicht mehr arbeiten: Zu ihren 23 Pflichtstunden pro Woche arbeiten sie jetzt schon 2 Stunden zusätzlich. Nach der neuen Regelung müssten sie 24 Pflichtstunden pro Woche unterrichten, und eine Stunde würde auf das Arbeitszeitkonto gehen. „Das ist ein rein finanzpolitisches Kalkül“, ärgert sich Wolfgang Blischke vom Personalrat für berufsbildende Schulen.
„Die Belastungsgrenze ist erreicht, es geht einfach nicht mehr“, sagt auch Kerstin Franzen und zeigt auf das Schild, das sie hochhält: „Meine Stunde gehört mir!“ Sie unterrichtet angehende Bürowirtschaftler in Lichterfelde und arbeitet derzeit mit Vor- und Nachbereitung 45 bis 50 Stunden pro Woche. „Es ist einfach ungeheuerlich, was wir Lehrer leisten müssen“. pflichtet ihr eine Kollegin von der Gesamtschule Kreuzberg bei.
Vor der Protestkundgebung auf dem Alexanderplatz hatten die Lehrer an ihren jeweiligen Personalversammlungen teilgenommen. Dabei standen knapp zweitausend berufsbildende Lehrer auf dem Marlene-Dietrich-Platz unter freiem Himmel, weil die Schulbehörde den von ihnen geforderten Raum im Stella-Musical-Theater für 14.000 Mark nicht anmieten wollte. Eine solche „Tagung de Luxe“ sei in Zeiten knapper Kassen völlig unangemessen, sagte Bögers Sprecherin Rita Hermanns. Es gebe kostengünstigere Lösungen. Die GEW argumentiert, das Musical-Theater sei für 12.000 Mark noch die günstigste Lösung gewesen.
Im Jahr davor hatten sie für 28.000 Mark in der Kongresshalle am Alexanderplatz getagt. Doch 400 LehrerInnen hätten damals draußen bleiben müssen, weil der Saal zu klein war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen