piwik no script img

Ein bisschen Zukunft ist immer

Denken im Dekor: Der britische Künstler Liam Gillick liebt Referenzen an Literatur oder Philosophie und stattet seine Ausstellungen gerne als Plattform für Utopien aus. Jetzt sind seine Arbeiten in der Galerie Schipper und Krome zu sehen

von AURELIANA SORRENTO

Das Denken über die Zukunft pflegt die Zukunft zu ändern. Diesen von Medienforschern täglich erprobten Grundsatz hat Liam Gillick in Essays und Interviews öfter verlautbart. Denn Gillick ist ein Mensch, der sich über die Zukunft Gedanken macht. Momentan bringt ihn die Zukunft Österreichs besonders ins Grübeln, weshalb er in der Galerie Schipper und Krome eine sauber gerahmte Grafikarbeit mit folgendem Inhalt aufgehängt hat: „Fuck the new austrian government“.

Es steht sogar dreifach in fetten Schriftzügen geschrieben, Orange, Grau und Grauweiß auf weißem Grund; dem optischen Schmelz zuliebe hat der Künstler die Leerstellen zwischen den Wörtern ausgelassen. Denn Gillick ist ein ästhetischer Mensch und weiß, dass eher Schönheit den Geist berückt als umgekehrt. Wenn also die Ausstellungsbesucher, vom visuellen Reiz der Arbeit geködert, über den Satz „Fuckthenewaustriangovernment“ nachdenken, werden sich dann Haider und Schüssel zum Teufel scheren?

Gillick vermeidet tunlichst eindeutige Prognosen. Schließlich ist er ein belesener Mensch, der sich neben der Kunst auch als Schriftsteller, Filmemacher, Dramatiker, Journalist und Kritiker betätigt. Obwohl er am Goldsmiths College in London studiert hat, könnte er die „Dialektik der Aufklärung“ sicher besser herunterbeten als die Bibel. In einem Essay von 1998 mit dem Titel „Prevision. Should the future help the past?“ brachte er die Gegensätze des Kalten Krieges von Szenariomentalität einerseits und der Planungsmentalität andererseits zusammen. Beide Denkweisen, so Gillick, seien von oben gelenkt, sodass sich Zukunftserwartungen und Gedächtnis in beiden Systemen dem Bild anglichen, das den Mächtigen zupass kommt. Aber die ständig wechselnde Abfolge von Möglichkeiten schließe im Gegensatz zur Planung das kapitalistische Risiko des Scheiterns wie die Chance der Veränderung ein: „Verändere ein winziges Detail, und das Experiment gerät außerKontrolle; Wechsle den Ort der Handlung, und alles wird vollkommen anders sein.“

Das ist genau der Punkt, an dem sich Gillick als Künstler in die gesellschaftlichen Prozesse einzuschalten versucht, um Veränderungen anzustoßen. Als Romanautor verändert er Details in der Geschichtsschreibung, indem er den Blick auf historische Nebenfiguren lenkt. Als bildender Künstler stellt er immer wieder Objekte vor, die als alternative Schauplätze für machtrelevante Handlungen dienen könnten – so wie die zwei Plexiglasscreens mit den Titeln „Discussion Island Development Screen“ und „Discussion Island Resignation Platform“, die er auf der documenta X ausstellte.

Nun hängen in der Galerie Schipper und Krome druckgrafische Werke wie das Anti-Haider-Poster, das als Cover-Design für ein Magazin gedacht ist, neben ornamentalen Flächen- und Linienkonstrukten. Braun geränderte pastellfarbene Scheiben, Wellenlinien in verschiedenen Grautönen und ockergelbe Rechtecke scheinen sich schwebend zu kreuzen und tragen allesamt den hintersinnigen Titel „Multiple Event Graphic“. Womöglich spielt Gillick damit auf die vielfältige Auslegung von Ereignissen an - den Bezug zu bunten Computerbildern verfehlt er partout.

Eine andere Gruppe mit Grafiken zeigt verflachte Strukturen in klebrigen Konfitürefarben, die teils zueinander passen wie Himbeermarmelade auf Pflaumenkuchen: Es sind Entwürfe für zu realisierende oder abstrahierte Vorlagen bereits realisierter Raumprojekte. Aber signifikante Merkmale, die eine über Farbe und Linie hinausgehende oder gar ins Politische abhebende Reflexion in Gang setzen könnten, wird man in der Ausstellung vergeblich suchen. Dabei sollte man bedenken, dass die Exponate als Kostprobe zu einem Katalog entstanden sind, der anlässlich der nächsten Gillick-Schau in Münster erscheinen soll. Auch dieser Umstand ist für Gillicks Schaffen typisch: Immer wieder zitiert er sich selbst, unablässig Elemente aufgreifend und variierend, die er schon in früheren Ausstellungen, Filmen oder Texten eingesetzt hat. Denn er will „einen Prozess von schwebenden Lösungen fortsetzen, Vollständigkeit vermeiden, einige Ideen in der Luft halten“.

Das ist zwar konsequent für jemanden, der seine Arbeit als Antrieb zu einem von ihm letztlich unabhängigen Denkprozess versteht, birgt aber die Gefahr, im Diffusen hängen zu bleiben. Anstelle von Zeichen sieht man bloß Zierate.

Bis 15. 4., Di. – Sa. 11 – 18 Uhr; Galerie Schipper und Krome, Auguststraße 91

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen