: Neue Kreuzberger Verluste
An einem einheitlichen Nutzungskonzept mangelt es dem Bethanien in seiner Geschichte schon immer
Hausbesetzer konnten sich nicht nur der Unterstützung von Rio Reiser sicher sein: „Der Mariannenplatz war blau, so viel Bullen waren da“, sang Reiser, als das Bethanien Anfang der Siebzigerjahre abgerissen werden sollte. Bald engagierten sich auch Denkmalschützer gegen den Abriss. Unter ihnen war Michael Haerdter, abgesandt vom Präsidenten der Akademie der Künste.
Im neunzehnten Jahrhundert suchte sich das junge Berlin die Würde einer langen Geschichte in die Ansicht der Stadt zu schreiben. Die Architektur des Bethaniens, das von König Friedrich Wilhelm IV. gestiftet wurde, glich mit ihren Türmchen einer mittelalterlichen Burg. Die doppelgeschossigen Arkaden der Eingangshalle und der Kapelle vermitteln noch heute den Willen zur Größe. Allein die Pappwände und fotokopierten Wegweiser der vielen Mieter zerstören schnell diese Illusion: zum Seniorenzentrum, zur Druckwerkstatt und zum Kunstamt Kreuzberg.
Die Mischung ist Ergebnis der politischen Widersprüche in den Siebzigerjahren. Ein einheitliches Nutzungskonzept fehlte. Unter den Aktivisten für den Erhalt gab es bald gegensätzliche Interessen.
Das Kampfkomitee Bethanien wollte eine Poliklinik für die Bewohner des Bezirks, der nicht nur mit Kultur, sondern mit allem unterversorgt war. Auch sie wurden von Künstlern unterstützt, nicht aber von der berufsständischen Organisation der Ärzte. Die Hausbesetzer, die aus dem Schwesternheim neben dem Bethanien ihre Transparente aus dem Fenster hängten, bewahrten damit das Bethanien vor dem Schicksal, zum Knabeninternat für einen Staats- und Domchor zu werden.
Inzwischen ist der Mariannenplatz wieder an den Rand öffentlicher Aufmerksamkeit gerutscht. Viele kulturelle Initiativen haben in den Neunzigerjahren Kreuzberg verlassen, neue Projekte sind in Mitte entstanden. Da läge doch die Idee nahe, wenigstens das Bethanien als eine in der internationalen Kunstwelt anerkannte Adresse in Kreuzberg weiter auszubauen.
Die Wünsche, den ausladenden Stadtpalast effektiver zu nutzen und gar zu einem Zentrum zeitgenössischer Kunst zu erweitern, sind so alt wie das Künstlerhaus. Doch die bisherige Nutzerstruktur, in der 15 bezirkliche Verwaltungen, sechs Senatsressorts und zehn freie Träger mitreden, verhinderte bisher jedes einheitliche Konzept. „Eine Situation wie in Kafkas Schloss“ sagte Krista Tebbe, Leiterin des Kunstamtes Kreuzberg, schon vor Jahren. kbm
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