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Neues Lebenin alten Pagoden

Die Minderheit der Khmer hatte unter dem Vietnamkrieg und seinen Folgen gleich in mehrfacher Hinsicht zu leiden: Den Vietnamesen galten sie als fünfte Kolonne der kambodschanischen Roten Khmer, ihre Kultur und ihre buddhistischen Riten wurden unterdrückt. Inzwischen wird zumindest der Wiederaufbau ihrer Klöster geduldetvon RÜDIGER SIEBERT

Ein Sonnenuntergang in Soc Trang, einer der geschäftigen Städte im Mekongdelta an der Südspitze Vietnams. Während die buddhistischen Mönche von der Khleangpagode in monotonem, meditativem Gebet das Gute zwischen Himmel und Erde beschwören, läutet in der Nachbarschaft die Glocke der katholischen Kirche zur Abendandacht. Von der gegenüberliegenden Schule ertönen die patriotischen Sprechgesänge der Jungen Pioniere.

Doch die Vielstimmigkeit täuscht Harmonie nur vor. Das Verhältnis des vietnamesischen Staates zu Religionsgemeinschaften ist allgemein verkrampft und von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Die Situation der Khmer ist noch zusätzlich kompliziert. Als die nordvietnamesischen Truppen im Frühjahr 1975 Südvietnam eingenommen hatten, wurden die Khmer als kambodschanische Minderheit geächtet. Aber auch in Kambodscha waren sie nicht willkommen; sie galten als Kollaborateure Vietnams und wurden von den Roten Khmer brutal verfolgt.

Heute zählt die Khmer-Minderheit in Vietnam etwa siebenhunderttausend Menschen, fast doppelt so viel wie vor einem halben Jahrhundert. Ihre buddhistische Identität trotzte Krieg, Verfolgung und Kommunismus. Die Khmer bekennen sich zum Hinayanabuddhismus, dem so genannten Kleinen Fahrzeug, auch Theravadabuddhismus geheißen, die Lehre der Alten. Sie berufen sich auf die ursprünglich von Buddha gepredigte Lehre, die dem einzelnen Menschen den Weg ins Nirvana, ins endgültige Verlöschen weist. Das hat elitäre Züge und lebt aus der klösterlichen Mönchsgemeinde heraus, der Sangha. Damit unterscheiden sich die Khmer von den vietnamesischen Budhhisten, die sich dem Mahayanabuddhismus zugehörig fühlen, dem so genannten Großen Fahrzeug. Die Lehre ist viel volkstümlicher und weiter in der asiatischen Welt verbreitet als der Theravadabuddhismus.

Fragt man die Mönche, die seit einem Jahrzehnt in der Khleangpagode leben und die alten buddhistischen Schriften studieren, nach dem Verhältnis zwischen den Khmer und den Vietnamesen, erhält man vorsichtige Antworten. Der Mönch Kim Khanh formuliert es so: „Das Verhältnis ist sehr freundlich. Die Vietnamesen haben die gleiche Lebens- und Arbeitsweise wie wir. Es gibt kein Problem.“ Tatsächlich jedoch erweist sich das Leben und Überleben der Khmerminderheit auf vietnamesischem Territorium sehr viel komplizierter, als der Augenschein in der Pagode vermuten lässt.

Die Khmer hatten unter dem Vietnamkrieg ebenso zu leiden wie ihre Nachbarn auch. Doch nach dem Einmarsch der Kommunisten aus dem Norden und der Wiedervereinigung des Landes vor 25 Jahren unter deren Kommando begann eine lange Zeit der Unterdrückung und Bevormundung. Die eigene Schrift und Sprache, die Religionsausübung, die Beschäftigung mit den eigenen Traditionen und Bräuchen – alles, was eigenständige Kultur und Identität ausmacht – wurde ihnen untersagt. Die Lage verschlimmerte sich noch, als Vietnam 1979 das benachbarte Kambodscha militärisch besetzte, um das Pol Pot-Regime der Roten Khmer zu vertreiben. Die Khmerminderheit im Grenzbereich des Mekongdeltas geriet vollends zwischen die Mahlsteine der Geschichte: als Sympathisanten oder erpresste Gefolgsleute der Roten Khmer, als deren Opfer oder als deren unterstellte fünfte Kolonne.

Seit der Entmachtung der Roten Khmer, dem Rückzug der vietnamesischen Truppen und dem staatlichen Neubeginn Kambodschas Anfang der Neunzigerjahre ist die Grenze zwischen beiden Ländern bis auf einen streng kontrollierten Übergang nordwestlich von Saigon geschlossen. Die familiären Kontakte zwischen den Khmer im Mekongdelta und ihren Verwandten in Kambodscha sind ebenso unterbrochen wie die Beziehungen zwischen den Khmerklöstern beider Länder.

In den Pagoden der Khmer im Mekongdelta hängen neben den üblichen Motiven der buddhistischen Welt auch die Bilder von Angkor Wat. Unverkennbar die weltberühmten Umrisse der Türme, die als Symbol auch in der kambodschanischen Nationalflagge wehen und alle Regime überdauerten. Ob sie denn schon einmal die Tempelanlagen von Angkor besuchen konnten, fragen wir die Mönche der Khleangpagode. Sanftes Kopfschütteln. Gerne würden sie einmal dorthin pilgern, um an die kambodschanischen Ursprungsstätten ihrer Kultur zu gelangen, aber eine solche Reise ist ihnen verwehrt. Hinter der Frage, wie wichtig ihnen eine Begegnung mit den Orten ihrer Geschichte sei, wird sofort die politische Brisanz wahrgenommen. Kim-Khanh: „Wir sind Mönche. Wir verstehen nur etwas von der Disziplin des Buddhismus. Wir reden nicht über Politik.“

Solche abwehrenden Äußerungen sind eine Folge der Minderheitenpolitik Vietnams, die vom Anspruch der Anpassung bestimmt wird. Motto: Wir sind alle Vietnamesen. Die auf Vietnams Rolle in Südostasien bezogene Schulbildung lässt keinen Raum für ethnische Eigenheiten. Auch die Geschichtsinterpretation ist klar, wie uns in der Pagode versichert wird: „Die Khmer in Vietnam müssen die vietnamesische Geschichte lernen. Über die kambodschanische Geschichte lernen sie nichts.“

Die Männer in den safrangelben Roben sind froh, dass sie überhaupt ihre buddhistischen Übungen betreiben dürfen. Wenn sie sich darauf beschränken, bleiben sie von den Behörden unbehelligt. Die Religionsausübung ist in jüngerer Zeit ein zugestandener Freiraum. Die Studien gelten vor allem den Sprachen. Vietnamesisch lernen auch die Khmerkinder bereits in der Schule, obwohl die Khmersprache in der familiären Umgebung die eigentliche Muttersprache geblieben ist. Für die Mönche gilt es, sich die heilige Sprache der alten Schriften anzueignen: Pali.

Die Khleangpagode ist in jüngerer Zeit renoviert worden. Diese buddhistische Stätte gehört zu den eindrucksvollsten Tempeln in Soc Tran. Hoch geschwungen das Ziegeldach, schwarz-golden die geschnitzten Drachenmotive der Säulen, an der Decke in wunderbarer Bewegung die Himmelstänzerinnen, Apsaras genannt. Die Architektur zeigt deutlich die Beziehung zu den Vorbildern in Kambodscha.

Weil die Pagoden der Mittelpunkt der Khmerkultur sind, kommen sowohl dem mönchischen Nachwuchs wie der Ausstrahlung der Mönche auf die Glaubensgemeinschaft große Bedeutung zu. Die vietnamesischen Behörden gestatten es heute, dass Khmerknaben mit zehn oder zwölf Jahren einem Kloster beitreten; erst wenn sich junge oder ältere Männer berufen fühlen, macht der Staat Schwierigkeiten. Traditionell ist ein buddhistischer Mönch nicht lebenslang an die Robe gebunden. Kim Khanh: „Wir begrenzen die Zeit des mönchischen Lebens nicht. Wie lange jemand Mönch ist, hängt von ihm selbst ab. Ob ein Leben lang oder eine kurze Zeit, entscheidet jeder selbst. Wer den Tempel verlassen will, kann das tun.“

Nicht nur die Pagode in Soc Tran wirkt fein herausgeputzt. Überall im Mekongdelta, wo etwa vierhundert Khmerpagoden stehen, fällt deren in jüngster Zeit mit großem Aufwand erfolgte Instandsetzung auf. Da wird gestrichen, geschnitzt, gebaut. Das Gemeindeleben blüht. Die Ausgaben werden von den Mitgliedern selbst erbracht. Es sind Bauern, Handwerker, kleine Leute. Für sie ist es selbstverständlich, einen ihrer Söhne zumindest zeitweise in ein Kloster zu schicken. Von diesen Pagoden wird das Überleben als Minderheit mit eigener Identität erwartet.

Das Wichtigste ist, die buddhistischen Bräuche und Traditionen zu erhalten: die kambodschanische Kultur für alle Zeiten, damit wir auf keinen Fall in unserem Wesen zerstört werden“, sagt Kim-Khanh lächelnd und leise. Seine Mitbrüder nicken. In ihrem religiösen Leben können sie sich heute ungestörter als noch vor einigen Jahren bewegen. Die vietnamesische Regierung hat Zugeständnisse gemacht. Aber eines ist für die Khmer im Mekongdelta klar: Politik ist tabu. Die Mönche und ihre Anhänger dürfen sich mit dem Nirvana beschäftigen – solange sie sich in die irdischen Verhältnisse, wie sie die Herren in Hanoi bestimmen, widerspruchslos einfügen. Im weitesten Sinne gilt dies für alle Religionsgemeinschaften in Vietnam. Ein zweischneidiges Zugeständnis der Kommunistischen Partei, die befürchtet, dass sich die Bevölkerung enttäuscht von ihr abwendet und Zuflucht in Pagoden und Kirchen sucht.

RÜDIGER SIEBERT, 56, arbeitet vorwiegend als Hörfunkjournalist. Soeben erschien Heinz Kotte, Rüdiger Siebert: „Der Traum von Angkor – Kambodscha, Vietnam, Laos“. Horlemann Verlag, Unkel 2000, 256 Seiten, 29,80 Mark

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