: Leipzig/Halle hebt ab
Konkurrenz für den seit Jahren geplanten Großflughafen Berlin-Schönefeld: Mit einem Kraftakt hat die Region Leipzig/Halle binnen fünf Jahren einen Superflughafen aus dem Boden gestampft
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Manchmal braucht es einfach Visionen. Und Uwe Schuhart hat welche. Der Mitarbeiter der Flughafengesellschaft Leipzig/Halle kennt jeden Flugzeugtyp. Besonders angetan haben es ihm aber Maschinen „die noch gar nicht gebaut sind“. Der A 3 XX etwa, ein Superjumbo, von dem nur ein Modell existiert. „Genau der könnte hier starten und landen.“ Wie das funktionieren würde auf dem neu eröffenten „Interkontinental-Aiport für Mitteldeutschland“, führt der Mann vom Pressezentrum Journalisten eindrucksvoll vor Augen. Schuhart brettert mit seinem Opel wie ein Formel-1-Pilot über die Rollbrücken in Richtung Runway. Superlative auch hier: Für 750 Tonnen Last sei die Strecke ausgelegt, „hier wurde Beton versenkt, der jede Maschine aushält“ – auch jene, die erst 2010 an den Start gehen sollen.
Auf dem Flughafen Leipzig/Halle, einst kleiner DDR-Stützpunkt, der einmal pro Jahr boomte und nach der Messezeit wieder in einen Dornröschenschlaf versank, heben derzeit alle ab. „Wir haben jetzt eine der modernsten Flughafenanlagen“, tönt Sachsens CDU-Wirtschaftsminister Kajo Schommer. Der neue Flughafen, legt Airport-Chef Volkmar Stein nach, stehe ab sofort für Langstreckenflüge in alle Welt bereit. Planung und Fertigstellung „sind in Rekordzeit realisiert worden“. Die 3.600 Meter lange und 60 Meter breite neue Start- und Landebahn könne „rund um die Uhr“, das heißt im 24-Stunden-Betrieb, genutzt werden. Das gibt’s nur einmal in Deutschland, eben in Leipzig/Halle.
Dass in der Euphorie der Übergabe vor zwei Wochen die Schwierigkeiten bei der überdimensionierten Planung vergessen waren, versteht sich von selbst. Die Klagen von Anwohnern wurden abgewiesen. Um das zwischen den alten und neuen Runways liegende Fleckchen Kursdorf mussten teure Lärmschutzwände hochgezogen und aufwändige Ausgleichflächen renaturiert werden.
Der finanzielle Kraftakt von rund 1,8 Milliarden Mark für den Bau, erinnert sich ein Insider der Industrie- und Handelskammer Dresden, habe die Flughafen-Anteilseigner fast in den Ruin getrieben. Das Vorhaben stürzte nicht ab, dank des Fallschirms aus Sachsen. Als Projektkosten die Mittel der Gesellschafter zu übersteigen drohten, sprang das Land Sachsen mit einer 60,5-prozentigen Beteiligung ein. Das hoch verschuldete Sachsen-Anhalt hingegen reduzierte seine Last auf 17,8 Prozent. Leipzig ist mit 11, Halle mit 7,3 Prozent beteiligt.
Dank der Rettungsaktion konnten die Anteilseigner die planerischen und technischen Voraussetzungen für einen Höhenflug optimal umsetzen. Seit 1995 wurden nicht nur die Grundstücke von den umliegenden Gemeinden gekauft und das Planfeststellungsverfahren abgeschlossen, betoniert wurde auch die hochmoderne Piste für eine Milliarde Mark.
Hinzu kamen ein neuer Tower sowie der Bau des Park- und Abfertigungsgebäudes, das 2002 fertig gestellt sein wird und das sich wie der Steg eines großen H zwischen die alte und neue Landebahn legt. Durchstoßen wird der Querriegel von der Autobahn A 14 (Halle–Leipzig–Dresden) und einem ICE-tauglichen Bahnhof, der im Souterrain entsteht. Damit werde Leipzig/Halle zu einem Musterbeispiel für die Vernetzung von Straßen-, Schienen- und Luftverkehr, erklärt Airport-Chef Stein. Mit der Bahn fährt man von Leipzig bis zum Flughafen 10 Minuten, rechnet Evelyn Schuster, Chefin der PR-Abteilung vor. Vom Airport-Bahnhof hinauf zur Check-in-Brücke ist es ein Katzensprung. Mit dem Wagen fährt man von der Messe gerade 5 Minuten, von Halle aus benötigt man bis ins Parkhaus auf der Terminalebene eine halbe Stunde.
Für Airport-Chef Stein und Wirtschaftsminister Schommer liegen die Potenziale nicht nur in der Messestadt, der Ansiedlung von Porsche und einem prosperierenden Gewerbegebiet zwischen Autobahn, Flughafen und Leipzig. „Wir können uns eine kräftige Scheibe vom Berliner Markt abscheiden“, erklärt Stein und hofft, vom Planungsdesaster beim Berliner Großflughafen Schönefeld zu profitieren. Schommer empfiehlt gar den Berlinern, den Flughafen Leipzig mitzunutzen. Das kommende Luftkreuz drehe sich über Mitteldeutschland und nicht über der Hauptstadt. Schommer: „Bis 2007 wird das Drehkreuz Schönefeld nicht da sein.“ Berlin solle sein Geld nicht in „überflüssige Vorhaben stecken“.
Wenn die Privatisierung Schönefelds nicht bald vorangeht, befürchtet selbst Eberhard Elie, Sprecher der Berlin Brandenburg Flughafen Holding (BBF), könnte die Leipziger Rechnung aufgehen. Denn dann „besteht da eine große Konkurrenz“, so Elie, zum Nachteil Berlins.
Den Fluggast-Kuchen der Region schätzt Stein auf 6 bis 7 Millionen Passagiere. Mit 2,15 Millionen Fluggästen 1999 und einer Steigerung von 2,6 Prozent sowie einer Frachtmenge von 7.400 Tonnen (ein Plus von 48,9 Prozent gegenüber 1998) steht der Airport derzeit zwar noch auf Rang zehn unter den bundesdeutschen Flughäfen. Die Potenziale aus dem Berliner Raum sieht Stein allerdings wachsen. Auch aus Magdeburg, Potsdam und der Industrieregion Bitterfeld sollen die Fluggäste kommen, ebenso aus Dresden, Chemnitz oder Jena.
Visionen und Infrastruktur für die Kapazität von 7 Millionen Passagieren stehen. Doch schon kommen Zweifel an der Durchschlagskraft des Interkontinental-Flughafens. Die Finanzierung des zweiten Terminals ist unklar. Auch die ICE-Trasse Erfurt–Halle–Leipzig lässt auf sich warten. Vor 2005 oder 2007 rechnet selbst die Flughafen-Crew nicht mit Millionenzuwächsen. „Das ist Zukunftsmusik“, betont PR-Chefin Schuster. Zudem „rentieren sich derzeit Interkontinentalflüge für die Gesellschaften noch nicht“. Doch dann blitzt wieder die Vision auf. „Sie kommen von hier aus überall hin, mit Umsteigen eben“, betont sie. Eine Linie fliege sogar nach Dresden. „Nur nach Berlin fliegen wir nicht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen