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american pieIm kanadischen Eishockey fehlen Geld und Nachwuchs

OHNE SPASS KEINE KREATIVITÄT

But that’s not how it used to be

Ob nun Offense oder Defense Meisterschaften gewinnt, sei einmal dahin gestellt, sicher ist, dass Tradition gar nichts gewinnt. Die Montreal Canadiens, Gründungsmitglied der Eishockeyliga NHL und deren Rekordmeister, sind zum zweiten Mal in Folge nicht in den Playoffs dabei. So etwas war den Canadiens seit 1922 nicht passiert.

Das Scheitern von Montreal ist symptomatisch für den Zustand des kanadischen Eishockeys. Erstmals in der Geschichte der NHL sind genauso viele deutsche Spieler in den Playoffs wie kanadische Teams. Keeper Olaf Kölzig spielt mit den Washington Capitals ab morgen gegen die Pittsburgh Penguins, Marco Sturm und seine San José Sharks bekommen es schon heute mit den favorisierten St. Louis Blues und deren Stürmer Jochen Hecht zu tun. Den Edmonton Oilers steht mit Titelverteidiger Dallas Stars ebenfalls ein dicker Brocken im Weg. So gesehen, könnte man es fast als positiv ansehen, dass in jedem Fall eine Mannschaft aus Kanada die nächste Runde erreicht, da Ottawa und Toronto gegeneinander spielen.

Während die NHL in den USA fröhlich expandiert, ist der nördliche Nachbar das Sorgenkind. Ab nächste Saison werden Minnesota und Columbus die Liga auf 30 Teams aufstocken, ein Fünftel kommt dann noch aus Kanada. Vier davon – Edmonton, Vancouver, Calgary und Ottawa – sind jedoch wirtschaftlich marode und könnten bald gen Süden abwandern, wie zuletzt Quebec und Winnipeg.

Der Grund für die Schwierigkeiten liegt zum Teil in der Schwäche des kanadischen Dollars. Die Einnahmen der Klubs werden in einheimischer Währung realisiert, viele Ausgaben, etwa die horrenden Spielergehälter, müssen jedoch in US-Dollars gezahlt werden. Hinzu kommt, dass der Profisport in Kanada wesentlich stärker besteuert wird und die Spieler die Hälfte ihres Lohns an den Staat abliefern müssen. Daher spielen die Besten fast alle in den USA. Eine Hilfsaktion des Staates, der den Eishockeyspielern und Klubs Steuererleichterungen gewähren wollte, scheiterte jüngst an der Empörung in der Bevölkerung. Eis-Legende Wayne Gretzky hatte Verständnis für den Zorn des Volkes. „Würde ich 30.000 Riesen im Jahr verdienen und mir dafür den Arsch abarbeiten, wäre das Letzte, für was ich stimmen würde, Typen, die fünf Millionen verdienen, die Steuern zu senken.“

Besorgnis in Kanada löst auch der Verfall der Spielkultur aus. Durch die Aufstockung der NHL seien viel zu viele durchschnittliche Akteure dabei, die Matches würden zunehmend von Taktik bestimmt und seien oft stocklangweilig, klagen die Fans. Zudem beeinträchtigten etliche schwere Verletzungen von Stars die laufende Saison, und sogar die Kanadier, die körperbetontes Eishockey lieben, waren von der Gewalt abgestoßen. 71 Prozent fordern härtere Regeln.

Auch der Anteil kanadischer Spieler in der NHL sinkt, was an den vielen Europäern liegt, aber auch am Nachwuchs im Lande. Die Klagen ähneln denen deutscher Fußballfunktionäre. Gretzky schwärmt von früher, als die Kids einfach auf den nächsten Teich gingen und sechs, sieben Stunden drauflos spielten. Wenn man heute zehn Jungs aufs Eis stelle, würden sie als Erstes fragen, welche Position sie spielen sollen. Um Kreativität zu entwickeln, müssten die Kids wieder Spaß am Spiel haben, meint Gretzky. Spaß scheinen sie jedoch zunehmend anderswo zu finden: Erstmals spielten im letzten Jahr mehr kanadische Jugendliche organisiert Fußball als Eishockey.

„Eishockey sorgt dafür, dass Kanada sich kanadischer fühlt“, schreibt der ehemalige NHL-Keeper Ken Dryden in einem Buch, doch es sieht ganz danach aus, als ob die NHL immer unkanadischer wird. Zumindest in Ottawa können die Fans etwas dagegen tun: mehr Bier trinken. Eine Brauerei liefert von jedem verkauften Kasten zwei Dollar an die Ottawa Senators ab. Kanadische Dollar, leider Gretzkys.

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