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Diepgens Trotzgeschichte

Das Parlament hat gestern den Landesetat verabschiedet und eigentlich wollte der Regierende über den „Haushalt der Zuversicht“ referieren. Doch dann sah er sich genötigt, Stadt und Senat gegen Kritiker von außen zu verteidigen

von RALPH BOLLMANN

Berlins Lokalpolitiker sind mal wieder eingeschnappt. Ihr kleines gallisches Dorf steht kräftig unter Beschuss. Gerade erst hatte Gerhard Schröders Staatsminister Michael Naumann (SPD) den Senat zum „politischen Offenbarungseid“ aufgefordert. Und ein Hamburger Magazin diagnostiziert „Mehltau auf Magic City“. Die „neue Vitalität“ in der „Provinzhauptstadt“ werde „von der Veteranen-Clique der alten Frontstadt bekämpft“.

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) schäumte so sehr, dass er die wohl gesetzten Worte vergaß, die ihm sein Redenschreiber Ansgar Vössing für die Haushaltsdebatte gedrechselt hatte. Statt über den „Haushalt des Gestaltungswillens und der Zuversicht“ zu referieren, geißelte Diepgen die „elitäre Arroganz“ der Berlin-Kritiker. „Hier rollt eine Kampagne bar jeder Vernunft“, giftete der Bürgermeister – um sogleich die Berliner Seele zu beruhigen: Die Kritiker aus dem Rest das Landes hätten doch nur „Sorge vor einer zu guten Entwicklung der Stadt Berlin“.

Schön wär’s. Die Zahlen des Landeshaushalts für das Jahr 2000, den das Parlament gestern beschloss, sprechen eine andere Sprache. Von den 41,4 Milliarden Mark, die das Land in diesem Jahr ausgeben will, stammen nur 16,9 Milliarden aus eigenen Steuereinnahmen. Allein an Zinsen bezahlt Berlin alljährlich das Vierfache der gesamten Kulturausgaben, über die derzeit so erregt gestritten wird. Berlin ist mit Abstand die ärmste unter den großen deutschen Städten. Die Steuereinnahmen liegen so niedrig, die Sozialausgaben so hoch wie kaum irgendwo sonst.

So geräuschlos wie noch nie haben sich die Koalitionsparteien CDU und SPD diesmal auf das Zahlenwerk geeinigt. Kein Wunder: Der Wahlkampf hatte den Spareifer monatelang zum Erliegen gebracht, wirkliche Schnitte bleiben im diesjährigen Etat weitgehend aus.

Doch längst haben die Koalitionäre ihre guten Vorsätze vom Herbst wieder zu den Akten gelegt. Nicht als konfliktträchtige Zwangsehe, sondern als konstruktives Bündnis für die Stadt wollten CDU und SPD ihre Koalition nach Bremer Vorbild zum Erfolg führen.

Damit aber ist es nach den ersten 100 Tagen schon vorbei. Dem Innensenator Eckart Werthebach, der als Diepgen-Vize auf die zurückgetretene Kultursenatorin Christa Thoben folgt, verweigerte jeder zweite SPD-Abgeordnete die Stimme (siehe unten).

Echten Rückhalt beim Koalitionspartner hat auch der neue, von der CDU vorgeschlagene Kultursenator Christoph Stölzl nicht. Der Kandidat musste es mit anhören, wie ihn SPD-Fraktionschef Klaus Wowereit als „akzeptabel“ titulierte – das klingt nicht wirklich nach Lob.

Es ist schon eine merkwürdige „Koalition“, die CDU und SPD da führen. Regierungs- und Oppositionspartei zugleich zu sein, das ist den Berliner Sozialdemokraten zur zweiten Natur geworden. Gegen die Christdemokraten zu wettern, ihnen aber bei den entscheidenden Abstimmungen stets zur nötigen Mehrheit zu verhelfen – in dieses Verhaltensmuster, das sie schon in zwei verheerende Wahlniederlagen geführt hat, sehen sich die Sozialdemokraten immer wieder zurückgedrängt.

Der neue Paradiesvogel Stölzl lässt das überkommene Personal noch grauer erscheinen. Nach Thobens Rücktritt sind im Bürgermeistertrio nur noch Männer vertreten, das Parlamentspräsidium ist nicht minder trist besetzt. „Alles Männer um die 60“, bemerkte der bündnisgrüne Fraktionsvorsitzende Wolfgang Wieland bissig. Wenig später übernahm Parlamentsvize Walter Momper die Sitzungsleitung. Der Mann, der noch im Oktober Bürgermeister werden wollte, sagt jetzt nur noch Sätze wie: „Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?“

Die Frage gilt dem einen CDU-Abgeordneten, der gerade seine erste große Parlamentsrede hält. Von Fraktionschef Klaus Landowsky zum Nachwuchsstar aufgebaut, redet er schon so wie Landowsky, und ein bisschen sieht er auch so aus. Er heißt Frank Steffel und ist 24 Jahre jünger. Unternehmergeist und soziale Verantwortung, Liberalität und innere Sicherheit – auf der Klaviatur der Widersprüche spielt er so virtuos wie sein Mentor.

Es gibt also doch Neues in der Berliner Politik – aber am Ende bleibt alles, wie es ist.

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