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Die Hauptstadt entschädigt

Bisher sind rund 60 Berliner Firmen dem Zwangsarbeiter-Entschädigungsfonds beigetreten.Darunter finden sich allerdings hauptsächlich junge Unternehmen, wenige Traditionsbetriebe

von RICHARD ROTHER

Immer mehr Berliner Firmen beteiligen sich am Entschädigungsfonds für ehemalige NS-Zwangsarbeiter. Zweieinhalb Monate nach Veröffentlichung der so genannten Berliner Liste (die taz dokumentierte) sind mittlerweile rund 60 Berliner Firmen der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft beigetreten.

Ende Januar hatte das American Jewish Committee (AJC) in Zusammenarbeit mit der Berliner Geschichtswerkstatt eine Liste von 78 Berliner Firmen veröffentlicht, die in der NS-Zeit Zwangsarbeiter beschäftigt haben sollen. Unter den 60 jetzt beigetretenen Firmen sind allerdings nur wenige, die auf der Liste standen, dafür viele junge Firmen, die sich der historischen Verantwortung stellen wollen.

Die Chefin des Berliner AJC-Büros, Deidre Berger, bezeichnete die Resonanz als „nicht überwältigend“. Die meisten der genannten Firmen würden sich zurückhalten. „Wir finden das bedauerlich.“ Über das bisher Erreichte könne niemand jubeln, sagte gestern der Sprecher der Stiftungsinitiative, Wolfgang Gibowski. „Das Ergebnis in Berlin ist relativ viel, aber in absoluten Zahlen wenig.“ Im Vergleich mit anderen Bundesländern schneide Berlin nicht überragend ab.

Mehrere Firmen, die Ende Januar noch auf der Liste standen, sind mittlerweile dem Fonds beigetreten, darunter die Admos Gleitlager Produktions-Vertriebsgesellschaft mbH, die Deutsche Eisenhandel AG und die Heinkel Systemservice GmbH.

Zwar seien Firmen urplötzlich zum gesetzlichen Erben von Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigten, erklärt worden, heißt es in einer Erklärung der Admos GmbH. Doch es gehe nicht um einzelne Firmen, sondern um die Moral der ganzen Gesellschaft. „Die Deutschen können ihre Geschichte nicht rückgängig machen, aber wir können den Opfern zeigen, dass wir sie würdigen“, begründet die Firma ihre Teilnahme am Fonds.

Mittlerweile beteiligen sich auch einige Firmen am Entschädigungsfonds, die mit Betrieben, Standorten, Namen oder Produkten von Firmen aus der NS-Zeit nichts zu tun haben. Für Wolfgang Otte ist das eine Selbstverständlichkeit. „Wir stellen uns der historischen Verantwortung dieses Landes“, sagt der Geschäftsführer der Firma Mediteam Efler, die mit 20 Beschäftigten ambulante Krankenpflege betreibt, gibt es erst seit zwei Jahren. Otte: „Jetzt muss jeder etwas tun.“ Finanzielle Bedenken lässt er nicht gelten. Ein Tausendstel des Jahresumsatzes, so die Richtlinie für den Stiftungsbeitrag, müsse jeder dafür übrig haben.

Das sieht manche Firma offenbar anders. Die Treptower EAW-Relaistechnik GmbH sei in keinster Weise Rechtsnachfolger der AEG Apparate Werke Treptow, sagte gestern ein Firmensprecher. Deshalb werde man sich nicht am Fonds beteiligen. Weitere Firmen, die das AJC auf der Berliner Liste dokumentierte, waren gestern zu keiner Stellungnahme bereit: darunter die Schultheiss Brauerei, die Berliner Bürgerbräu, die Lacufa AG.

Problematisch ist nach wie vor die Beteiligung der öffentlichen Betriebe wie BVG, BSR und Berliner Wasserbertriebe (BWB), die heute noch im Mehrheitsbesitz des Landes sind. Die privatisierte Bewag hatte sich als einer der ersten Berliner Betriebe dem Fonds angeschlossen. Ein BWB-Sprecher verwies auf die Zuständigkeit des Eigentümers, also des Landes. Dies habe sich mittlerweile geändert, sagte Michael Wehran, Sprecher der Wirtschaftsverwaltung. „Wir empfehlen jetzt den Betrieben, sich direkt zu beteiligen.“

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