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LONDON UND DUBLIN WOLLEN NORDIRISCHE REGIERUNG WIEDER BELEBENVerlockende Fleischtöpfe

Braucht Sinn Féin, der politische Flügel der Irisch- Republikanischen Armee (IRA), die nordirische Regionalregierung? Offiziell beklagt die Parteiführung, dass ihre Friedensstrategie durch die von den Unionisten verlangte Suspendierung der Regierung im Februar untergraben worden sei. Die Hardliner in Sinn Féin und IRA sehen das als Bestätigung des unionistischen Vetorechts über jedwede Veränderung in der britischen Krisenprovinz.

Tatsächlich aber profitiert Sinn Féin an der Wahlurne von der Suspendierung und dem Zorn der katholischen Wählerschaft darüber. Bei einer Nachwahl in Omagh, wo eine IRA-Abspaltung vor anderthalb Jahren das schlimmste Blutbad in der dreißigjährigen Geschichte des Konflikts angerichtet hatte, konnte Sinn Féin ihren Stimmenanteil verdoppeln und gewann den Sitz unangefochten. Leidtragende sind die katholischen Sozialdemokraten, die SDLP des Friedensnobelpreisträgers John Hume, deren Anteil um ein Viertel sank. Dieser Trend wird sich fortsetzen: Solange die Regierung suspendiert ist, sind alle Augen auf Sinn Féin gerichtet, während die SDLP im Hintergrund immer mehr verblasst. Unter diesen Voraussetzungen ist es nur eine Frage der Zeit, bis Sinn Féin in Nordirland zur stärksten Partei auf nationalistischer, also katholischer Seite wird. Daher rührt auch das Interesse der britischen und irischen Regierungen, die Regionalregierung so schnell wie möglich wieder zu beleben.

Die Angst vor Sinn Féins Wahlerfolgen ist in London und Dublin allerdings beträchtlich gesunken. Sinn Féin ist längst nicht mehr Teil einer bewaffneten, revolutionären Bewegung, sondern eine konventionelle politische Partei, in vielen Programmpunkten nicht mal sonderlich progressiv, deren Ziel die Regierungsbeteiligung ist. Die Veränderungen sind auch auf die britische Strategie zurückzuführen, die große Summen bereit gestellt hat, um ehemalige Aktivisten an staatlichen Projekten auf lokaler Ebene zu beteiligen und ihnen damit bequeme Pöstchen zu sichern.

Sinn Féin plant für die Zukunft: Auf dem Parteitag vor acht Tagen beschloss man, einen Ausschuss mit der Koalitionsfrage in der Republik Irland zu betrauen. Es ist kein Geheimnis, dass die Parteiführung nach den nächsten Wahlen in Dublin gerne eine Koalition mit Fianna Fáil bilden würde, einer Partei, die zwar für die irische Vereinigung eintritt, aber in ihrem Programm sehr konservativ ist. Anfang der Zwanzigerjahre war Fianna Fáil Teil der IRA und kämpfte bewaffnet gegen die Teilung des Landes, bevor man sich 1927 den Fleischtöpfen der jungen Republik zuwandte. RALF SOTSCHECK

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