: Wird April 2000 der Crashmonat?
Neue Rekordstürze an den US-Börsen nach einer bereits schlechten Woche – insgesamt ein Viertel Wertverlust für Anleger. Alle starren heute auf die Wall Street. Die Finanzchefs der großen Industrienationen sorgen sich offiziell nicht allzu sehr
von REINER METZGER
Zwei Billionen Dollar an Aktienvermögen sind innerhalb einer Woche durch fallende Kurse an den US-Börsen vernichtet worden. Vor allem Freitag stürzten die Kurse ab: Der Dow-Jones-Index der 30 führenden Industriewerte verlor an diesem Tag 5,66 Prozent, der zweite bedeutende Gradmesser Nasdaq sackte sogar um 9,67 Prozent oder 1.215 Punkte ab.
Schon in den vergangenen Wochen schwankten die Kurse stark, mit einer generellen Tendenz nach unten. Den entscheidenden Schlag in dieser vorsichtigen Stimmung verpasste den Aktien die neueste Ausgabe des „Konsumenten-Preisindexes“ der US-Regierung. Er ist ein Maß für die Inflation. Am Freitag gab die Regierung bekannt, dass die so gemessenen Verbraucherpreise im März überraschend stark um 0,7 Prozent gestiegen seien – der größte Anstieg seit Januar 1995.
Die Jahresinflation wurde daraufhin auf 3,7 Prozent geschätzt. Nach Jahren des erstaunlich inflationsarmen Wirtschaftsbooms könnte eine massivere Preissteigerung drohen. Die Zentralbanker dürften daher die Zinsen stärker anheben als erwartet, was ja die Aktienkurse stets belastet. Die Anleger wurden daraufhin Zeugen der schlechtesten Woche in der Geschichte der 1971 gegründeten techniklastigen Computerbörse Nasdaq und einer der schlimmsten in der über 100-jährigen Geschichte der traditionellen Parkettbörse an der Wall Street in New York. In der Summe gab der Dow Jones um über sieben Prozent, die Nasdaq gar um ein Viertel nach.
Vor allem die Internet- und Computerwerte der Nasdaq näherten sich damit dem, was man als Crash bezeichnen kann.
Für einige bekannte Milliardäre mit hohem Aktienvermögen drückt sich das auch in herben persönlichen Verlusten aus: Microsoft-Gründer Bill Gates verlor innerhalb von fünf Tagen elf Milliarden Dollar (rund 23 Milliarden Mark), Internetbanker Charles Schwab 2,6 Milliarden, Amazon.com-Chef Jeffrey Bezos 2,6 und Computerhändler Michael Dell verlor 2,4 Milliarden Dollar. Für die kommende Entwicklung wichtiger als die Vermögen der Superreichen ist allerdings das Verhalten der Privatanleger und der großen Pensionsfonds. Werden sie heute wie bei vergangenen Kursabsackern die gefallenen Preise als Möglichkeit zum Einstieg nutzen? Oder ist der Run vor allem auf die teuren High-tech-Aktien nun endgültig vorbei? Am Wochenende waren die US-Börsenanalysten dazu geteilter Meinung, die meisten waren jedoch skeptisch.
Der Direktor des Weltwirtschaftsinstituts in Kiel, Horst Siebert, sah den Kurssturz in New York positiv. „Ich halte das für eine notwendige Korrektur, gerade um das zu vermeiden, was 1990 in Japan passiert ist, nämlich das Platzen einer Blase“, sagte er im Hessischen Rundfunk.
Präsident Bill Clinton sah am Samstag trotz der Turbulenzen an den Aktienmärkten „ein sehr gutes Jahr“ für die US-Wirtschaft kommen. „Ich kann nur versuchen, die Wirtschaft stark zu halten, und das werde ich auch tun“, meinte er.
Auf dem G-7-Gipfel der reichsten Industrieländer am Samstag in Washington waren vorher eher kritische Töne am US-Boom angesagt. „Es besteht Handlungsbedarf zur Förderung eines ausgeglicheneren und damit nachhaltigeren Konjunkturmusters zwischen unseren Volkswirtschaften“, erklärten die G-7-Finanzminister und Notenbankchefs nach ihrem Treffen am Rande der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) sagte, wenn die US-Wirtschaft die erhoffte sanfte Landung hinlege, werde Europa seine Rolle als Konjunkturmotor voll übernehmen.
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