Flower Power

Als Popmodell funktioniert Tulip noch nicht so richtig. Dafür macht sie Menschen glücklich. Heute tritt die singende Tulpe im Enzian auf

Die Tulpe ist groß. Zwei Meter und sieben Zentimeter. Und das schon ohne den Kranz aus gelben Blütenblättern. Wenn Tulip, die singende Tulpe, zu Hause auftritt, im Hamburger Pudel-Club, dann stößt sie an die Decke. Also muss die Tulpe neben der Bühne stehen, um dort mit tiefer Stimme ihre traurigen Moritaten zu singen: „Am Abend dreh’ ich meinen Stempel nach dem Mond“. Dazu drückt der Fliegenpilz die Tasten, und das Glühwürmchen schlägt auf die Schlagzeugfelle.

Im echten Leben heißt die Tulpe Holger Steen, ist 37 Jahre alt und hat eine tiefe, beruhigende Sprechstimme. „Ich will ein Lächeln auf die Gesichter der Menschen zaubern“, sagt Steen, und dass hinter der singenden Tulpe „auch so etwas wie Menschenliebe steckt“. Und tatsächlich: Wer kann denn schon jemandem böse sein, der als Blume verkleidet vom „Rehlein zart“ singt und vom „Elfentanz“ und vom „Elbstrand“, der einer gewissen „Cecile“ die unsterblichen Zeilen „Jadabadabadabdaju / Lajubajubalajubawie“ widmet und sogar ein Lied geschrieben hat über Odo, das Formwandler-Wesen aus „Deep Space Nine“, weil der sich jeden Tag zur Entspannung eine Stunde in einen Eimer zurückziehen muss.

Im Eimer begann auch die Geschichte von Tulip. „Im Eimer“ ist in diesem Fall der Club in Berlin-Mitte: Dort bereicherte Steen das Konzert einer befreundeten Band mit einer zehnminütigen Einlage. Sein Gesicht hatte er durch ein Loch gesteckt, das in eine Papptulpe geschnitten war, die er wenige Tage zuvor auf der Straße gefunden hatte: „Ich hab’ einfach rumgeschrien.“ Seitdem hat Holger Steen eine Band: Axel Jansen, mittlerweile das trommelnde Glühwürmchen, Gregor Hartz, der Fliegenpilz am Keyboard, sprachen ihn nach dem Auftritt an. „Echt gute Musiker“, sagt Steen und meint: im Gegensatz zu ihm. Tatsächlich: Jansen ist hauptsächlich Schlagzeuger der Mobylettes und Hartz ein erfolgreicher Gothic-Musiker.

Seit diesem Abend im Eimer erfreut Tulip, die singende Tulpe, die Menschheit. Spielt Kindermelodien und Heavy Metal, düstere Balladen und lustige Marschmusik. Vor allem aber: Sie bringt die Menschheit zum Lachen. Die Tulpe macht glücklich. Aber warum? „Ich habe immer versucht“, sagt Steen und reibt ein wenig schüchtern die großen Hände aneinander, „Sachen für und nicht gegen die Menschen zu machen.“ Also: Wer die Tulpe hört, wird ein besserer Mensch. Oder zumindest ein glücklicherer. „Wenn man schöpferisch tätig wird, dann muss man es gut meinen“, sagt die menschenfreundliche Tulpe, „sonst geht es in die Hose“.

Steen hat seit dreizehn Jahren kein Platte mehr gekauft und hört auch nie Radio. „Ich bin eigentlich kein Musiker“, gesteht Steen. Deshalb verkleidet er sich als Blume. Aber auch, um dem Publikum die Angst vor den Gefühlen zu nehmen, die die Musik bei ihm auslösen könnte. „Mir liegt nichts daran, ein Publikum zu manipulieren“, sagt Steen, „ich trage das Kostüm, um aus der eigenen Menschenrolle auszusteigen.“

Allzu viele Menschen allerdings konnte Tulip bislang nicht glücklich machen, weil „die Musikindustrie uns zum Kotzen findet“, und selbst die eigene Plattenfirma nicht weiß, wie man das Produkt verkaufen soll. Dabei glaubt Steen, Tulip sei „ein Entwurf für Popmusik“. Nur: Bisher ist die Schublade „singende Pflanzen“ wohl noch nicht ausreichend etabliert. „Die können uns nicht einordnen“, sagt Steen, „aber das Publikum kommt eigentlich immer mit leuchtenden Augen aus dem Konzert.“ Leuchtende Augen, mal wieder Kind sein, die ursprünglichen, tiefen Gefühle wie Glück und Angst, Liebe und Vertrauen spüren. All das macht Tulip wieder möglich. Und nur aus einem einzigen Grund: aus reiner Menschenfreude. THOMAS WINKLER

Heute um 20.30 Uhr im Enzian, Yorckstraße 77

Zitat:„Wenn man schöpferisch tätig wird, dann muss man es gut meinen“, sagt die menschenfreundliche Tulpe, „sonst geht es in die Hose.“