: Gift in der Schreinerstube
Bei einem bayerischen Türenhersteller wurden erschreckend hohe Chlorgiftwerte gemessen. Schuld hat wieder das Holzschutzmittel Xylamon
von PETER SCHRAMM
Erst nach hartnäckigem Drängen des ehemaligen Arbeiters Peter Röder machte sich Anfang Februar der amtliche Chlorchemie-Messtrupp zur Firma „Isoliertüren Ehrenfels“ in Karlburg bei Würzburg auf: „Wir suchen nach minimalen Spuren“, sagte damals Laborleiter Manfred Schreiner. Seit letzter Woche liegen die Ergebnisse vor. Das Team hat das Chlorgift PCP in einmalig hoher Konzentration gemessen – und das 19 Jahre nachdem das inzwischen verbotene PCP-verseuchte Holzschutzmittel Xylamon zuletzt in der mittelständischen Firma angewandt wurde.
Die PCP-Werte erreichten bis zu8,5 Gramm pro Kilogramm Beton
Die Spezialisten des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz meißelten Proben aus Wänden und Boden, sammelten Holzstaub und untersuchten sie auf ihren Gehalt an PCP (siehe Text unten rechts). Diese hochgiftigen und langlebigen Verbindungen gelten als ein Indiz für weitere Ultragifte: Wo sie auftauchen, sind die Seveso-Gifte Dioxin und Furan in der Regel auch vorhanden. Untersucht wurde die Halle, in der damals Holzteile gestrichen wurden. Das braune Xylamon tropfte dabei einfach auf den Boden. An diesen Stellen lagen die Werte am höchsten: Bis zu 8,5 Gramm pro Kilogramm Beton wies das Landesamt für Umweltschutz nach. „Ein solcher Wert ist mir in 20 Jahren Gutachtertätigkeit noch nicht untergekommen“, sagt der Toxikologe Tino Merz aus Wüstenzell bei Würzburg. „Eine Katastrophe.“ Bei der Sanierung von mit Xylamon gestrichenen Balken in Häusern treten üblicherweise Werte von 100 bis 300 ppm auf, also nicht einmal ein Zehntel der in Karlburg gefundenen Werte.
Über einen längeren Zeitraum muss jetzt die Konzentration des Chlorgiftes PCP in den Betriebsräumen gemessen werden. Die Grenzwerte liegen bei 1 Millionstel Gramm (1 Mikrogramm) pro Kubikmeter Raumluft an Arbeitsstellen, für Wohnräume bei 0,1 Mikrogramm. Merz hält es für erwartbar, dass die PCP-Konzentration bei den Folgemessungen höher sein wird als erlaubt. Für Böden und Decken gibt es keine Grenzwerte.
Das zuständige Gewerbeaufsichtsamt in Würzburg sieht das anders. In seinem Auftrag wurden die Messungen vom Landesamt durchgeführt. „Die Raumluftmessung folgt in einigen Wochen“, meinte gestern Amtsleiter Klaus Grädler. „Wir hatten erhöhte Werte, aber nur an den Stellen im Estrich, wo das Xylamon verarbeitet wurde.“ Einen Anlass für Messungen in anderen Holzbetrieben sieht Grädler derzeit nicht, und die Sanierung des Betonbodens hält er für unkompliziert.
Für Peter Röder ist die Lage dramatischer. Seit seiner Lehre in der Firma Ehrenfels von 1978 bis 1982 kämpft er mit seiner Krankheit MCS – der so genannten Multiple Chemical Sensitivity. Unter diesem Namen wird eine starke Empfindlichkeit gegenüber einem breiten Spektrum von chemischen Stoffen zusammengefasst. MCS-Kranke weisen eine Vielzahl von Symptomen auf, die von Müdigkeit über Entzündungen bis zu schwersten allergischen Schocks reichen. Das unklare Krankheitsbild erschwert die korrekte Diagnose.
Peter Röder hat in seiner Lehrzeit häufig Holzleisten und Türen mit dem damals noch PCP-haltigen Holzschutzmittel Xylamon imprägniert. Ohne Schutzkleidung oder Absauganlage, wie er sagt. Genauso wurden damals metallene Türblätter mit dem ebenfalls als schädlich bekannten Lösungsmittel Trichlorethylen, kurz „Tri“ genannt, entfettet.
Vor seiner Lehre war Peter Röder gesund, seitdem ist er krank.
Bei späteren Arbeitsstellen erlitt er immer wieder allergische Schocks: etwa als er in einem Zementwerk ölverschmierte Handschuhe anzog oder als er bei einem Landschaftsgärtner eine frisch imprägnierte Regenjacke trug. Seit 1996 gilt er als hundertprozentig arbeitsunfähig. Dennoch lehnte die Berufsgenossenschaft noch 1996 einen Antrag Röders auf Rente ab. Nun hat er neben einer Rente von der Landesversicherungsanstalt für Arbeiter auch eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beantragt. Ein Schwerbehindertenausweis wurde ihm bereits bewilligt. Das alles geht ins Geld, und die Berufsgenossenschaft scheint alarmiert zu sein – wohl, weil sie einen Präzedenzfall fürchtet.
Der Fall könnte weitreichende Konsequenzen haben. Denn Xylamon wurde in vielen Holz verarbeitenden Betrieben eingesetzt. Routinemäßige Messungen gibt es nicht. In Karlburg wurde letzlich nur gemessen, weil Röder immer wieder auf die damaligen Zustände hingewiesen hatte. Und das trotz des Xylamon-Skandals in den 80ern, als Häuslebauer nachgewiesenermaßen durch die langsam ausgasenden Giftstoffe krank wurden und die Herstellerfirma Desowag verklagten. Die Manager wussten augenscheinlich von der Schädlichkeit ihres Produkts, priesen es aber weiter an. Mit Hilfe einiger Gutachter aber stand Desowag das 12-jährige Prozessmarathon um Xylamon-Entschädigungen durch. Ins Gefängnis wanderte keiner der Verantwortlichen.
Mit Rückendeckung durch den Nachweis der horrend hohen PCP-Werte aus seiner ehemaligen Firma zieht Röder jetzt gegen eine Branche vor Gericht, die bislang immer mit einem blauen Auge davonkam – die Chemieindustrie. „Die Produkthaftung in Deutschland ist ein Witz“, findet Röder. „Nicht die Hersteller des krank machenden Zeugs müssen für meine Gesundheit haften, sondern die Solidargemeinschaft.“ Peter Röder fordert nun von den Rechtsnachfolgern des Xylamon-Herstellers Desowag, Firmenunterlagen aus der Zeit um 1980 herauszugeben. Damit will er erreichen, dass in allen belieferten Betrieben die PCP-Konzentration gemessen wird. Außerdem müssten die Krankengeschichten ehemaliger Mitarbeiter solcher Betriebe ausgewertet werden.
Röders Gegner scheinen inzwischen vor nichts zurückzuschrecken, um ihn davon abzuhalten, noch mehr Staub aufzuwirbeln. Innerhalb von nur einer Woche waren die Radmuttern an seinem Auto gelockert, die Bremsen versagten wegen einer defekten Sicherung, und die Reifen wurden angeschnitten. Fremde erkundigten sich im Dorf nach seiner Adresse, der Computer wird regelmäßig mit Viren attackiert, und die Telefondatei verschwand. Ein bisschen viel Zufall auf einmal, findet er.
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