: Husarenstiefel und virile Frauen
■ Unplakativ, aber dennoch deutlich: Magnus Hirschfeld ist eine Ausstellung gewidmet
Mit einer echten Sehenswürdigkeit wartet derzeit das Magnus-Hirschfeld-Centrum auf: Aus Anlass des neuen Rosa von Praunheim-Films über Magnus Hirschfeld Der Einstein des Sex findet dort eine Ausstellung über das Berliner „Institut für Sexualwissenschaft“ seines Namensgebers statt.
Hirschfeld, führender Vorkämpfer der frühen Homosexuellenemanzipation, rief dieses Institut als weltweit erstes seiner Art im Jahre 1919 ins Leben. Es war bis zu seiner Plünderung und Schließung nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 eine bemerkenswerte, zum Teil avantgardistische Stätte der Forschung, der Beratung, der Fortbildung sowie sexualpolitischer Aktivitäten – sei es gegen den antihomosexuellen Paragrafen 175 oder den Abtreibungsparagrafen 218.
Schrifttafeln und Fotos informieren ausführlich über das wissenschaftliche Konzept, über die Sexualberatungs-, Vortrags- und Sammeltätigkeit. Alle bekannten MitarbeiterInnen werden biografisch gewürdigt, von den Medizinern bis zu den Hausangestellten. Unter den – leider nicht im Original erhaltenen – Sammlungsgegenständen sind erwartungsgemäß manche Kuriosa, wie jene Stiefelkollektion, die ein Fetischist 1919 dem Institut vermachte mit der Bemerkung, am liebsten seien ihm Husarenstiefel, die ja nun „leider“ der Vergangenheit angehörten.
Unplakativ, aber dennoch deutlich, wird die Ambivalenz der Konzepte und Kategorien, auf denen die Arbeit des Instituts beruhte, dargestellt. Grundlegend war die Annahme von der angeborenen, unumstößlichen geschlechtlichen „Natur“ jedes Menschen. Einerseits ermöglichte die Ausdifferenzierung in Zehntausende von „sexuellen Zwischenstufen“ die Akzeptanz für Transvestiten, Tunten, „virile“ Frauen und andere, die nicht in starre Schemata passten. So ist eines der schönsten Dokumente der Ausstellung ein Rezept des Institutsarztes Felix Abraham, mit dem er einer Klientin den Besuch eines Transvestitenclubs und zweier Lesbenlokale verschrieb.
Auf der anderen Seite waren Hirschfeld und seine MitstreiterInnen gängigen biologistischen Denkschemata verhaftet. Seine Wissenschaftsgläubigkeit verführte Hirschfeld sogar zeitweise zur Unterstützung von Versuchen, Schwule durch Hodenverpflanzung „umzupolen“. Immer war es der wissenschaftliche Experte, der letztinstanzlich über die „wahre Natur“ eines Menschen entschied.
Nicht nur hier drängen sich aktuelle Bezüge geradezu auf: Noch heute müssen „Transsexuelle“ in einem steinigen Verfahren ihre andere psychische Geschlechtsidentität nachweisen, bevor die Operation genehmigt wird. Noch heute gibt es die Frage nach biologischen „Ursachen“ von Homosexualität.
Auch die unheilvollen Denk-muster der ebenfalls am Institut propagierten Eugenik leben heute in der Gentechnologie und Pränataldiagnostik weiter. Das einzig Bedauerliche ist, dass Bezüge zur Gegenwart nicht explizit hergestellt werden. Wie Ralf Dose, einer der Ausstellungsmacher, erläutert, fanden solche Aktualisierungen anderenorts durch ein begleitendes Vortragsprogramm statt, das in Hamburg fehlt. Dennoch: Auf der historischen Ebene ist das Spannungsfeld von Wissenschaft und politischer Emanzipation, zwischen Aufklärung und elitärem Expertentum, selten so vielschichtig ausgeleuchtet worden. Jakob Michelsen
noch bis 28. April, Magnus-Hirschfeld-Centrum, Borgweg 8.
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