: „Das Bild stimmt nur für drei Monate“
Wilhelm Hankel, Experte für Währungspolitik, mag den Optimismus des Frühjahrsgutachtens nicht teilen. Der konjunkturelle Aufwärtstrend ist in seinen Augen bloß die langsame Rückkehr zum Normalzustand
taz: Rückblickend sind die Prognosen der Forschungsinstitute recht solide – allerdings nur kurzfristig. Langfristig lagen die Prognosen oft weit daneben. Was ist vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen von Wirtschaftsprognosen zu halten?
Wilhelm Hankel: Langfristige Prognosen sind in aller Regel falsch, weil sie die strukturellen Brüche nicht erkennen. Mittelfristig sind sie auch meist falsch, weil sie die politischen Reaktionen nicht kennen. Ich traue dem jetzigen Bild nicht über drei Monate hinaus.
Im Frühjahrsgutachten heißt es: „Die konjunkturellen Aussichten für die deutsche Wirtschaft sind damit so günstig wie seit langem nicht mehr.“ Teilen Sie diesen Optimismus?
Nein. Wir nähern uns wieder einem normalen Wachstumspfad. Er könnte ruhig höher sein. Aber es liegen noch viele Unwägbarkeiten am Weg. In Euroland nimmt die Inflation bedenklich zu und nähert sich dem Zentrum. Außerdem importieren wir über die Euroschwäche zusätzlichen Preisauftrieb. Die große Unsicherheit ist, wie reagiert die Europäische Zentralbank darauf? Mit Sicherheit wird es in den nächsten Wochen kräftige Zinserhöhungen geben. Das belastet den weiteren Aufwärtstrend.
Es bestehen also immer noch Unsicherheiten?
Das Wachstum wird weiterhin einseitig vom Export getragen und damit hängt es an der ungewissen Entwicklung der Weltwirtschaft. Zudem bleibt der Kurs der Notenbanken in Europa und Amerika ungewiss. So ganz geradlinig aufwärts kann und darf man nicht prognostizieren.
Die Mehrheit der Forschungsinstitute fordert, in der Geldpolitik zu bremsen und die Zinsen zu erhöhen, um der Inflationsgefahr zu begegnen. Eine Minderheit sieht dadurch aber die anziehende Konjunktur schon wieder gefährdet.
Ich fürchte, es geht nicht darum, was wir wünschen. Die EZB hat sich selbst festgelegt auf Inflationsbekämpfung, wenn sie sich der Zwei-Prozent-Marke nähert. Mit einem Überschreiten ist spätestens im Sommer zu rechnen und dann mit schwerstem Geschütz von Seiten der EZB.
Welchen Rat geben sie der Wirtschaftspolitik?
Es wäre verhängnisvoll, wenn aus diesen optimistischen Prognosen geschlossen würde, man bräuchte jetzt nichts mehr zur Beschleunigung der Konjunktur und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu tun. Optimistische Prognosen dürfen kein Alibi dafür sein, dass die Wirtschaftspolitik die Hände in den Schoß legt. Vorrangig sollte Klarheit im europäischen Fahrplan geschaffen werden. Diese Unsicherheit schwächt den Euro und führt zu Kapitalflucht. Und die Steuerreform muss nicht nur auf den Weg, sondern neu auf den personalintensiven Mittelstand hin akzentuiert werden. Bislang ist sie eine Reform für Großunternehmen. Interview: HERMANNUS PFEIFFER
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