: Träge Hühner-Evolution
■ Hühner müssen den Freilauf erst lernen: Renke Onkens Hühnerhof sieht zwar aus wie Industrie, hat aber automatische Klappen nach draußen mit viel Platz zum Laufen
Das Schild am Marktstand schaut ganz verlockend: „Eier aus Freilandhaltung“ heißt es in krakeliger Schrift. „Sie können sich das ruhig mal angucken“, sagt die Marktfrau freundlich. Die Karte ist auf der 10-er-Packung gleich mit abgedruckt. Also auf nach Neuenburg in Friesland zu „Onkens Hühnerhof“.
Mit bunten Bildern im Kopf vom idealen Hühnerleben erlebe ich die erste Enttäuschung: Onkens Hof entspricht nun gar nicht dem gängigen Freiland-Image. Statt Fachwerkhaus ein riesiger Stallneubau und statt saftiger grüner Wiesen bloß öde Auslaufflächen.
Dann kommt Renke Onken, Herr über 10.000 Hühner, 15 Mitarbeiter und fünf Verkaufswagen. Ein Bauer, wie es sich gehört: Kräftiger Händedruck, Gummistiefel, hinter runden Brillengläsern blitzen listige Augen. „Der Freilandhaltung gehört die Zukunft“, erzählt er. Vor drei Jahren hat er eine Million Mark für die Umstellung auf Freilandhaltung investiert – und wurde unter Kollegen prompt als Spinner belächelt. Doch Renke Onken ist kein weltfremder Öko: Seine Futtermittel stammen aus konventionellem Anbau. Der Hühner-Farmer glaubt vielmehr die Zeichen der Zeit erkannt zu haben: „Immer mehr Verbraucher wollen Nahrungsmittel aus artgerechter Tierhaltung. Das Freiland-Ei liegt gut im Trend.“
Ob Trendscouts je einen Fuß in moderne Hühnermastbetriebe gesetzt haben, weiß ich nicht. Onken erklärt mir derweil ungehindert die EU-Richtlinien zur Freilandhaltung: „Pro Huhn sind zehn Quad- ratmeter Auslauffläche vorgeschrieben. Beim Öko-Landbau gibt's nur die Hälfte“. Macht also zehn Hektar Spielwiese für Onkens 10.000 Hühner. Doch wo sind sie, die ganzen Federviecher?
Renke Onken kann weiterhelfen: „Bevor die Hühner rausgelassen werden, halten sie sich im Scharrraum auf zum Abkoten“. Und zum Eierlegen. Würden die Hühner jetzt draußen rumlaufen, müsste Onken täglich 6.000 Eier verstreut auf zehn Hektar zusammensammeln. Dann würde auch die vollautomatische Eiersortiermaschine, die er eben nicht ohne Stolz gezeigt hat, keinen Sinn mehr machen.
Im so genannten Scharrraum dann die zweite Enttäuschung: Ich bin in einem Industriebetrieb. 5.000 Hühner flattern dicht gedrängt in dem schlauchartigen Raum herum. Der Lärm ist unerträglich. „Die Hühner lieben die Wärme“, schreit Renke Onken, umringt von Hühnermassen, „deshalb gehen die nicht so gerne raus“. Wenn sich um Punkt 11.00 Uhr die Luken im Scharrraum automatisch öffnen und den Weg ins gelobte Freiland freigeben, gackern die Hühner tatsächlich lieber drinnen um die Wette.
Onken erzählt, dass die meisten Tiere wegen der Käfigtierhaltung ihr natürliches Verhalten verloren hätten. „Die müssen den Auslauf erst mal lernen“, erklärt er. Viel Zeit haben sie dazu nicht. Sobald die Hühner ihren ersten Geburtstag feiern, kommen sie auch schon unters Messer. „Die Legeleistung lässt nach einem Jahr nach“, erklärt Onken lapidar die betriebswirtschaftlichen Basics der Farmer.
Ob sich seine Hühner denn wirklich glücklicher fühlen als die Insassen der Legebatterien, weiß Renke Onken auch nicht so genau: „Aber ich geh stark davon aus, sonst würd ich's nicht machen.“
Andreas Buron
Besichtigungen beim Hühnerhof
unter 04452/911 920.
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