: Heißer Sommer an der Uni
Nach Jahren des Stillhaltens protestieren die Hochschulen wieder gegen die Sparpolitik des Senats. Es wird nicht viel helfen: Studenten werden nicht bemitleidet, sondern beneidet
von RALPH BOLLMANN
Mehr als zwei Jahre nach dem letzten großen Studentenprotest wollen die Hochschulen wieder aufbegehren. Einen „heißen Sommer“ sagte der Präsident der Technischen Universität (TU), Hans-Jürgen Ewers, gestern für den Fall voraus, dass der Senat bei den Haushaltsberatungen für das Jahr 2001 die Uni-Etats weiter kürzt: „Mit der Ruhe an den Hochschulen ist es jetzt vorbei.“ Die Wissenschaftler wollen sich Künstler wie Claus Peymann oder Daniel Barenboim zum Vorbild nehmen, die ihre Pfründe mit wortgewaltigen Auftritten verteidigen. „Wir sind lernfähig, was das Theatermachen angeht“, drohte Ewers, „und wir können mehr Publikum auf die Straße bringen.“
Das hat bisher wenig geholfen. Seit 1992 haben die Hochschulen ein Drittel ihres Etats verloren. Und ihr gestriger Hilferuf war als Fanal für eine große Protestwelle wenig geeignet. Mit wissenschaftlicher Akribie verhedderten sich die Repräsentanten der sechs größten Berliner Hochschulen in den Details ihrer Finanzverträge mit dem Senat. Dass sie in diesem Jahr aus einem „Überbrückungsfonds“ jene Kredite nicht erhalten sollen, die sie nach eigenem Bekunden gar nicht in Anspruch nehmen wollen – das lässt sich nicht wirklich als Skandal verkaufen.
Dass mit den Hochschulen kaum jemand Mitleid hat, liegt aber weder an der verwirrenden Komplexität des Haushaltsrechts noch an einer ungeschickten Öffentlichkeitsarbeit der Wissenschaftler. Es hat einen viel banaleren Grund: Fast jeder, der am Prozess der politischen Meinungsbildung beteiligt ist, hat sein Studium schon hinter sich.
Das bedeutet zum einen, dass er eine Hochschule – im Unterschied zu Theatern oder Museen – in seinem Leben nie wieder betreten wird. Das Studentendasein ist irgendwann Vergangenheit. In der Zukunft werden wir alle Rentner sein. Schon das erklärt die politischen Prioritäten.
Zum anderen ist die Erinnerung an die Zeit des Studiums selten negativ. Im Gegenteil: Im Rückblick erscheint das Leben an der Hochschule nostalgisch verklärt. Das hat vor allem mit dem Zeitschock zu tun, der beim Wechsel von der Hochschule ins Berufsleben eintritt. Plötzlich jeden Tag von morgens bis abends eingespannt zu sein, teils auch nachts und am Wochenende, in der restlichen Zeit müde, die Welterkundung auf die wenigen Wochen des Jahresurlaubs beschränkt: Da erscheint die freie Zeiteinteilung in Studententagen als jenes Paradies auf Erden, das sie in Wahrheit nicht immer war.
Wenn die Studenten auf die Straße gehen und einen „Streik“ ausrufen, wird alles freilich nur noch schlimmer. Gut gelaunte Twens, die während der normalen Arbeitszeit sichtlich vergnügt zu kreativ-verspielten Aktionen schreiten – sie haben wenig Aussicht, die knapp 3,4 Millionen nicht studierender Berliner von ihrer elementaren Not zu überzeugen.
Doch nichts anderes als Zeitverschwendung ist das Grundprinzip aller Wissenschaft. Jene 80 Prozent des Wissens, die ein Erdenbürger für den Alltag braucht, kann er nach einer simplen Faustregel mit 20 Prozent des Zeitaufwands erlangen. Für den minimalen Rest, der den maximalen Aufwand erfordert, ist die Wissenschaft zuständig. So bestärken die meisten Professoren ihre Studenten darin, in ihrer Examensarbeit ohne Rücksicht auf Fristen und Termine den Problemen auf den Grund zu gehen. Nach den Maßstäben einer praxisorientierten Ausbildung mag das verantwortungslos sein; ihren Pflichten als Wissenschaftler werden sie damit voll gerecht.
Kurz: Wissenschaft ist Luxus. Wollen die Hochschulen andere davon überzeugen, dass dieser Luxus nötig ist, dann ist das – harte Arbeit.
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